An einem Wort kann sich eine Welt entscheiden
Welche Kräfte im Innersten der Literatur wirken, beschäftigt Schriftsteller aus ureigenem Interesse. Je tiefer sie aber in sich hineinblicken, desto schwindliger kann ihnen werden. Der Umweg über die Werke von Dritten empfiehlt sich schon deshalb, weil gutes Schreiben fast immer von genauem Lesen kommt. Was es heißt, von den Großen zu lernen, hat ein ganzes Genre von Büchern begründet, die untersuchen, wie das Mechanische von Sprache und das Organische von Motiven und Perspektiven ineinandergreift.
Von E.M. Forsters „Ansichten des Romans”, die auf Vorlesungen am Trinity College 1927 zurückgehen, bis zu James Woods großartiger „Kunst des Erzählens“ (How Fiction Works, 2008) hat es Klassiker hervorgebracht. Zu ihnen gesellt sich nun ein weiteres einzigartiges Buch: George Saunders’ „Bei Regen in einem Teich schwimmen – Von den russischen Meistern lesen, schreiben und leben lernen“.
[George Saunders: Bei Regen in einem Teich schwimmen. Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert. Luchterhand, München 2022. 544 Seiten, 24 €.]
Auf schmaler Grundlage, nämlich genau sieben Erzählungen von vier Autoren, unter denen Anton Tschechow dreimal vertreten ist, visiert es dennoch die Betriebsgeheimnisse allen modernen Erzählens an – und sucht nach Resonanzen im eigenen Schreiben und Leben. Saunders, 1958 im texanischen Amarillo geboren und seit 1997 Professor an der Syracuse University im Bundesstaat New York, befragt jeden Satz von Tschechow, Turgenjew, Tolstoi und Gogol auf seine Informations-, Stimmungs- und Strukturökonomie hin.
Weil die untersuchten Texte vollständig dokumentiert sind, folgt man ihm mühelos. Für das, was man daraus lernen kann, ist Saunders, der auch bei anderen großen Russen wie dem hier nur erwähnten Isaak Babel in die Schule gegangen ist, das beste Beispiel: Auf der Kurzstrecke ist er als Erzähler, wie insbesondere seine Storysammlung „Zehnter September“ zeigt, innerhalb der amerikanischen Literatur eine Klasse für sich.
Der über Jahre in Schreibkursen mit seinen Studierenden erworbene analytische Präzision der Beobachtungen zu den Techniken und Errungenschaften des Erzählens hindert Saunders nicht an einem fast umgangssprachlichen Ton. Seine immer wieder in persönliche Anekdoten abschweifenden Lektüren verstehen sich unter direkter Ansprache des Lesers als „gemeinsamer Spaziergang“, dessen Lockerheit über die Myriaden von Entscheidungen hinwegtäuschen mag, die beim Schreiben anstehen.
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Könnten sie erfahrene Autoren nicht auch intuitiv treffen, sie müssten den Verstand verlieren. Der amerikanische Untertitel spricht offen aus, dass es sich um eine „Master Class“ handelt, einen Meisterkurs, der im Idealfall verrät, wie schon mit einfachen Kniffen der Sprung vom Handwerklichen ins Künstlerische gelingen kann.
Am Ende gesteht Saunders, dass das Schreiben des Buchs eine Chance für ihn gewesen sei, sich zu fragen, ob er sein Leben noch immer der Literatur widmen wolle. „Und die Antwort lautet; ich will. So richtig.“ Dieses Bekenntnis wirkt ansteckend.