Auch die Besucherzahlen sind schlecht
Es ist eine unrühmliche Spezialität des Berliner Kulturbetriebs: Ein Intendant eines staatlich finanzierten Theaters inszeniert auch noch an einer anderen Staatsbühne. Und nicht etwa in Hamburg oder München, sondern in der Hauptstadt, bei der Konkurrenz. René Pollesch, Intendant der Volksbühne seit Beginn dieser Spielzeit, praktiziert das so. Am 1. Juli kommt seine neue Produktion am Deutschen Theater heraus, „Liebe, einfach außerirdisch“.
Polleschs Texte sind meist etwas kryptisch. Und auch wieder doppeldeutig bis klar: „Unsere Mission wird beendet??? Nein, Wir müssen Zurück??? Nein!!!!!!! Ich kann nicht glauben, dass man uns abberuft. Glaubst du, ich werde sie nicht vermissen, die Leute, die ich hier liebgewonnen habe? Die Art, wie die Menschen ihren Blick abwenden, wenn ich auf sie zugehe? Oder die da oben im zweiten Rang, die mich sowieso nicht sehen?“
Die Kulturverwaltung schaut nur zu
So steht’s auf der Website des DT, und dazu kann man sich eine Menge denken. Aber erst einmal bei der Kulturverwaltung nachgefragt. Senator Klaus Lederer hat Pollesch mit großer Begeisterung an der Volksbühne inthronisiert. Darf der Theaterchef solche Nebenjobs haben? Dazu sagt Lederers Sprecher Daniel Bartsch: „Konkrete Vertragsdetails sind nicht öffentlich.“ Und: „Die Gast-Inszenierung von René Pollesch am DT war bereits vor der Vertragsunterzeichnung als Intendant der Volksbühne fest verabredet worden, hat sich dann Corona-bedingt zeitlich immer weiter nach hinten geschoben. Um jedoch nicht wortbrüchig zu werden, ist René Pollesch der Verabredung nachgekommen.“
Die Verabredung von Pollesch mit dem Deutschen Theater und dessen Intendant Ulrich Khuon ist also wenigstens drei Jahre alt. Pollesch hat im Juni 2019 für die Volksbühne unterschrieben. Im August 2020 hatte er dann noch eine Premiere am DT, „Melissa kriegt alles“, gefolgt im Oktober von einer Uraufführung am Staatstheater Nürnberg mit dem prophetischen Titel „Take the Villa and Run!“.
Das schlechteste Ergebnis in Berlin
Es sei üblich, heißt es in der Antwort der Kulturverwaltung, „dass Intendanten Gast-Intendanzen an anderen Häusern wahrnehmen können“. Gemeint sind sicher Gast-Inszenierungen. Aber üblich ist es nicht. Nicht in der gleichen Stadt.
Die Leitung der Volksbühne gehört zu den schwierigsten Jobs in der deutschsprachigen Theaterwelt. Das Haus ist groß, und noch größer wirkt seine Tradition, von Erwin Piscator über Benno Besson bis Frank Castorf. Da ist nicht nur der volle Einsatz einer starken Künstlerpersönlichkeit gefordert. Und es läuft nicht gut am Rosa-Luxemburg-Platz.
Für 2021 wird eine Platzauslastung von 67 Prozent ausgewiesen. Da steckt die Pandemie drin. Es konnte erst wieder ab Juni gespielt werden, unter Auflagen. Dennoch hätte man sich für den Auftakt einer neuen Intendanz etwas mehr Publikum vorgestellt. Im ersten Quartal 2022 ist es noch einmal weniger geworden: nur 62 Prozent Auslastung, das schlechteste Ergebnis aller großen Bühnen in Berlin, kein Wunder bei dem dünnen künstlerischen Angebot.
Bei solchen Anlaufschwierigkeiten muss man sich sehr um das Haus sorgen. Das Problem der künstlerischen Nebenjobs wird durch ein älteres Beispiel noch deutlicher. Harry Kupfer war von 1981 bis 2002 Chefregisseur der Komischen Oper. Was ihn in seiner Selbstherrlichkeit nicht davon abhielt, an der Staatsoper einen Wagner-Zyklus zu inszenieren. Auch dadurch geriet die Komische Oper in eine gefährliche Schieflage. Und auch damals schaute die Kulturverwaltung zu.
Kupfers Nachfolger Andreas Homoki und vor allem Barrie Kosky haben das Haus wieder stabilisiert und ganz groß herausgebracht. Solche Energie braucht die Volksbühne jetzt unbedingt im Abstiegskampf.