Wenn die „Platte“ wieder nackt dasteht
„Der Abbau natürlicher Ressourcen hat seine Grenzen erreicht“, schreibt Theresa Keilhacker im Vorwort zum Jahrbuch „Architektur in Berlin“ (Verlag Braun, 182 S., 29,90 €). Die im Mai 2021 gewählte Präsidentin der Architektenkammer Berlin verweist auf die seit Jahren geführten Debatten unter Schlagworten wie „Reduce Reuse Recycle“ oder „Cradle to Cradle“, ist sich aber sicher: „Das Umdenken beginnt Früchte zu tragen.“ Dafür stehen zumindest die Textbeiträge in dem bewährten Buch, das Neubauten in Berlin (beziehungsweise solche von in Berlin ansässigen Büros) vorstellt.
Darunter befinden sich Konzepte zum Umbauen. Insbesondere die Plattenbauten der Vorwende-Jahre und die Flächenpotenziale der Dächer werden ausgelotet. „Jeder Plattenbau ist ein Zuhause“, schreibt Keilhacker, „Vermögenswert, Zeitdokument und Ansatzpunkt einer verträglichen Stadtentwicklung in einem.“ Aber gilt das nicht für jede Baulichkeit?
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Immerhin ist Abriss keine Option mehr, und Neubau muss ressourcenschonend erfolgen. Das lässt sich am ehesten im Einfamilienhausbau umsetzen, für den Beispiele durchdachter Umbauten ebenso gezeigt werden wie großzügige Neubauten in Holz. Beim Geschosswohnungsbau führen EM2N Architekten mit ihrem um einen Innenhof herum angelegten Sechsgeschosser im Neuköllner Rollbergkiez vor, dass auch das lange verpönte Laubenganghaus bei entsprechender Dimensionierung der Außenräume ein attraktiver Bautyp sein kann – und das für insgesamt 101 Wohneinheiten.
Elegant ist die Hofbebauung von Zoomarchitekten in Prenzlberg, deren fünf Obergeschosse mit je zwei spiegelsymmetrischen Wohneinheiten per Fahrstuhl erschlossen werden. Ein perfekter Umbau gelang Ortner & Ortner beim ehemaligen Post- und Telegrafenamt von 1925 in der Schöneberger Geisbergstraße: Hi-End im Wohnbau.
Die Außendämmung wurde entfernt, um die Kachelfassade zu retten
Beim DDR-Plattenbau zeigt sich ein Wandel der Herangehensweise in einer einzigen Straße. Noch vor wenigen Jahren wurde eine ganze Zeile „komplettsaniert“, so dass die „Platte“ anschließend ohne Außendämmung dastand, um ihre typischen Kachelfassaden zu erhalten. Allerdings würde man gerne erfahren, wie es da um die Einhaltung der rigiden Energieeinsparverordnung bestellt ist.
Das „Deutsche Architektur Jahrbuch 2022“ (DOM publishers, 264 S., 38 €) verfolgt einen anderen Ansatz, hier geht es um Bewertung und Rangfolge. Preisgekrönt wurde das 27 Wohnungen bergende Wohnhaus „San Riemo“ in der Messestadt Riem, der ansonsten eher konventionellen Bebauung des ehemaligen Flughafens im Münchner Osten. Als genossenschaftliches Wohnhaus erfuhr es die erklärten Sympathien der Jury des Deutsche Architekturmuseums in Frankfurt am Main. Gemeinschaftlichkeit und Flexibilität stehen obenan. Freilich werden sie in der Praxis meist doch nicht ausgeschöpft.
Florian Nagler baute nebeneinander in Holz, Ziegel und Leichtbeton
Als Vorbilder mögen eher die drei „Forschungshäuser“ dienen, die Florian Nagler einander gleich aus Holz, Ziegel und Leichtbeton in Bad Aibling errichten ließ, um verlässliche Vergleichsdaten zur Langzeitnutzung beim „einfachen Bauen“ zu gewinnen. In jedem Haus ist eine Kleinwohnung ausschließlich mit Messstationen vollgepackt, um Nutzerverhalten, Energieverbrauch und Raumklima zu dokumentieren.
Nicht größer könnte der Kontrast zum Berliner „Axel Springer Campus“ von Rem Koolhaas an der Zimmerstraße sein. Da ist von der „Revolution des Arbeitens für die digitale Zukunft der Medienwelt“ die Rede. Allerdings muss man sich so viel umbauten Luftraum wie in diesem Riesenbau leisten können.
Zum Glück kam ein Investor, Wohnungskäufer blieben aus
Die „Shortlist” zum DAM-Preis zeigt dann die ganze Vielfalt von Bautypen – vom Bürohaus bis zur Rad- und Fußgängerbrücke in Darmstadt. Und natürlich Wohnbauten; die Massivholzhäuser von Praeger Richter Architekten in Neuruppin, zu sagenhaft günstigen Kosten erstellt, konnte nur dank eines Investors realisiert werden, da sich zunächst nicht genügend Wohnungskäufer fanden.
Wer Vorbildliches für den eigenen, klammen Geldbeutel sucht, bekommt diesmal ein regelrechtes Zuckerl: das kleine, vormals spießig-unscheinbare Reihenhäuschen in Köln, das Feyyaz Berber geschickt entkernt, fröhlich angemalt und für eine junge Familie hergerichtet hat. Nur Mut!