Ist das Hertha BSC oder Fotheringham United?
War das womöglich oder tatsächlich der Anflug eines Lächelns? Die Lippen von Mark Fotheringham, sonst gerade wie ein Strich, nahmen zumindest eine leichte Rundung an, als er der Frage lauschte, in der es um die taktische Grundordnung im Spiel von Hertha BSC ging. Um das 4-1-4-1-System, das Fotheringham – vermutlich gemeinsam mit seinem verhinderten Chef Felix Magath – für das Duell mit der TSG Hoffenheim gewählt hatte.
„Haben wir 4-1-4-1 gespielt?“, fragte Fotheringham zurück. „Ich weiß nicht.“ Die Lippen jetzt wieder gerade wie ein Strich, der Blick zu allem entschlossen. Taktik sei ihm völlig wurscht, sagte er, „interessiert mich nicht. Entschuldigung, aber das ist so.“ Seine Mimik verriet nichts, aber es wäre schon mehr als verwunderlich, wenn Mark McKay Fotheringham, 38 Jahre alt, stolzer Schotte und Sohn eines Gerüstbauers aus Dundee, in diesem Moment nicht einen großen Spaß gehabt hätte.
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„Wer Taktik ablehnt und sie faulen Zauber nennt, hat sie am meisten nötig.“ Das hat der frühere Bundestrainer Sepp Herberger einmal gesagt, und der ist immerhin auch schon seit 45 Jahren tot. Felix Magath hat das nie interessiert. Und seinen neuen Assistenten Mark Fotheringham offenbar auch nicht. Aber so, wie man laut dem Philosophen Paul Watzlawick nicht nicht kommunizieren kann, so kann man vermutlich auch nicht keine Taktik haben. Beziehungsweise: Keine Taktik zu haben ist eben auch eine Taktik.
Die Taktik, die das Trainerteam Magath/Fotheringham am Samstag beim 3:0-Erfolg gegen die TSG Hoffenheim gewählt hatte, war vor allem eine, die Herthas Mannschaft nach Wochen voller Irrungen und Wirrungen erkennbar entgegenkam. Mit Fotheringham an der Seitenlinie in Vertretung des mit dem Coronavirus infizierten Felix Magath feierte der Berliner Fußball-Bundesligist im elften Pflichtspiel des Jahres und nach zuletzt fünf Niederlagen am Stück endlich mal wieder einen Sieg. „Es war wichtig, es war sogar zu diesem Zeitpunkt überlebensnotwendig“, sagte Herthas Sportgeschäftsführer Fredi Bobic, der vor einer Woche zum zweiten Mal in dieser Spielzeit den Trainer gewechselt hatte.
Die Entscheidung für den 68 Jahre alten Magath und sein Image war dabei ein deutliches Statement: ein Statement für mehr Mentalität, für mehr Physis, für eine Reduktion der Komplexität. Genau das war die Taktik für das Spiel gegen die Hoffenheimer. „Wir haben einfach gespielt. Wir haben die Basics gut gemacht heute“, sagte Fotheringham.
Alle drei Tore fielen nach Standards
Sogar die Tore fielen auf die denkbar einfachste Art und Weise: nach Standardsituationen. Alle drei. Das erste erzielte Niklas Stark, der eigentlich Innenverteidiger ist, gegen die Hoffenheimer aber als alleiniger Sechser auflief.
Die Position ist so etwas wie das Kraftzentrum im modernen Fußball, die Quelle, die das eigene Spiel antreibt. Doch Stark kam in 90 Minuten auf gerade 23 Ballkontakte, er war – um mal die Terminologie aus der Zeit von Sepp Herberger zu bemühen – nicht Libero, sondern Ausputzer vor der Abwehr. Der Plan funktionierte trotzdem: Hoffenheim hatte den Ball, Hertha die Hoheit im Mittelfeld. „Wir waren sehr kompakt“, sagte Fotheringham, „nicht nur vertikal, auch lateral.“ Redet so jemand, der sich wirklich nicht um Taktik schert?
Der Plan funktionierte sogar so gut, dass Hertha kaum wiederzuerkennen war. In den sozialen Medien witzelte jemand zu Beginn des Spiels: „Wer ist das? Und wo ist Hertha BSC?“ Womöglich handelte es sich bei den Spielern in den blau-weiß-gestreiften Trikots tatsächlich um eine andere Mannschaft als Hertha, vielleicht um Fotheringham Athletic oder um Fotheringham United. Es war ein Team wie sein Trainer: kompakt, grimmig entschlossen und voller Energie.
„Er kann die Menschen mitnehmen“, sagt Bobic
Nicht mal 90 Minuten benötigte Magaths Co-Trainer, um die Spieler und das Publikum im Stadion und an den Bildschirmen komplett für sich einzunehmen. „Was der Mark an der Seitenlinie abgerissen hat, war überragend“, sagte Herthas Offensivspieler Marco Richter. Und so bestätigte sich das Bild, das auch Sportchef Bobic in den vergangenen Tagen von dem Schotten gewonnen hatte. Wo und bei wem auch immer er sich nach ihm erkundigt hatte, Fotheringham wurde als „begeisternd und authentisch“ beschrieben: „Er ist jemand, der Menschen mitnehmen kann.“
Der grimmige Blick bei der Pressekonferenz tat dann sein Übriges.
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Als Fotheringham dort im Scherz gefragt wurde, ob er seinen Spielern zu Motivationszwecken denn den Film „Braveheart“ gezeigt habe, reagierte er ganz unironisch. „Das ist kein Spaß“, blaffte er den Journalisten an. „Ich bin ein seriöser junger Trainer.“
Fotheringham, als Fußballer nur mäßig erfolgreich, ist ambitioniert und verfolgt durchaus eigene Ziele. Er will nicht ewig Co-Trainer bleiben. Trotzdem ist er in der Position, die er jetzt bei Hertha bekleidet, loyal bis zur Selbstaufgabe.
Magath hofft, am Donnerstag auf den Trainingsplatz zurückzukehren. Aber ganz egal, ob er da sein wird oder nicht: Für Fotheringham ist und bleibt Magath „der Boss“, und der Boss gibt die Linie vor. Dieser Linie zu folgen, damit hat er kein Problem, zumal beide Brüder im Geiste sind. „Ich arbeite für einen der bekanntesten Trainer im Weltfußball“, sagte Mark Fotheringham nach seinem erfolgreichen und vermutlich trotzdem einmaligen Auftritt als Cheftrainer von Hertha BSC. Dass er jemandem wie Felix Magath zur Hand gehen darf, das erfüllt ihn vor allem mit Stolz.