Der Tunnel wird zum Licht

Der venezianische Kulturkalender folgt langen Wellenbewegungen. Am vergangenen Wochenende schloss die Architektur-Biennale, und die von Peter Fischli kuratierte Schau „Stop Painting“ in der Fondazione Prada ging zu Ende, eine witzig-dialektische Reflektion über die Unmöglichkeiten der Malerei, die sich mit Gene Beerys Leinwand von 1986 lakonisch auflösen. „As Long As There Are Walls There Will Be Painting“, steht da geschrieben. Malerei muss sein, und wenn es bunte Lappen sind, die Jean-Frédéric Schnyder zum Reinigen seiner Pinsel benutzt und zu einem riesigen Patchwork zusammengelegt hat.

Während nun auch viele kleinere Ausstellungen in der Stadt eingepackt werden, hat das Teatro La Fenice seine Saison eröffnet, spät im Herbst, wie es bei italienischen Opernhäusern üblich ist. So lange es Menschen gibt, gibt es Gesang. Und die Opernhäuser haben sich in der Pandemie alles Mögliche einfallen lassen, um nicht zu verstummen: Streaming, die Platzierung des Chores in einem separaten Raum neben der Bühne oder das Orchester im leeren Zuschauerraum.

Zum Auftakt nun Ludwig van Beethovens einzige Opernkomposition, dirigiert von Myung-Whun Chung. „Fidelio“ ist für den Regisseur Joan Anton Rechi der große Ausnahmefall, in dem eine Frau in der Oper einmal nicht als femme fatale auftritt und eines genüsslich langen Todes sterben muss. Leonore kämpft für die Freiheit ihres Mannes, sie ist stark und selbstständig, auch wenn das alles um das Jahr 1805, als das Stück in Wien uraufgeführt wurde, offenbar nur in einer Hosenrolle zu bewerkstelligen war.

All das ist nicht neu, aber Rechi versteht „Fidelio“ auch als Covid-Stück. Wenn die Gefangenen ans Licht treten, haben sie das Ende des Tunnels erreicht. Beethovens Gefängnischor soll Zuversicht verbreiten, letztlich geht es auch in all den Pandemie-Debatten vor allem um Freiheit und Freizügigkeit.

In der Oper handelt es sich um politische Gefangene, die im Kerker weggesperrt sind, zu Unrecht verurteilt. Da ist der Vergleich mit dem tödlichen viralen Geschehen nicht unproblematisch. Bei der Premiere ist das Haus bis auf den letzten Platz besetzt, das Publikum trägt Mund- und Nasenschutz. Der deutsche Freundeskreis des Fenice ist angereist, echte Fans scheuen auch im hohen Alter keinen Aufwand. Und nachher treffen sich die Honoratioren zum Galadinner in der Sala Appolinea, eine Szenerie wie aus einer Donna-Leon-Verfilmung.

Es wird nach dem Green Pass gefragt

Italien zeigt sich in der Covid-Bekämpfung momentan konsequenter als Deutschland, die harten Maßnahmen der Regierung Draghi wirken offensichtlich und machen Mut. Solche Eindrücke sind immer anekdotisch, doch muss man sagen: Es wird in Venedig nach dem Green Pass gefragt und kontrolliert, selbst wenn man bloß in einer Bar einen Cappuccino bestellt.

Die Pandemie ist eine Sinfonie des Schreckens, sie dringt in alles ein und findet bei den „Fidelio“-Chorsängern den treffendsten Ausdruck der Absurdität. Denn der Chor des Fenice singt mit Maske, die Protagonisten nicht. So schmettern die Choristen hinter der Mascherina unverdrossen: „O welche Lust, in freier Luft / den Atem leicht zu heben!“ Und weiter noch: „Wir wollen mit Vertrauen / auf Gottes Hilfe bauen, / die Hoffnung flüstert sanft mir zu: Wir werden frei, wir finden Ruh’“.

Es geht dann erst einmal wieder zurück in die Dunkelheit, der Gefängnisdirektor kommt. Die Rettung folgt nach dem zweiten Akt. „Fidelio“, zwischen Klassik und Romantik schwankend, ist in der Operngeschichte ja tatsächlich ein absoluter Sonderfall. Hier kommt es zum perfekten Happy End, alles wird gut für alle. Regisseur Rechi sorgt im vorweihnachtlichen Gefühlsrausch, endlich wieder spielen zu dürfen, auch noch dafür, dass die unglücklich in Fidelio verliebte Marzelline ihr Glück findet.