„Da wird sicherlich ein bisschen Rennglück den Ausschlag geben“
Christian Danner, 63, bestritt zwischen 1985 und 1989 in der Formel 1 36 Rennen. Für den Fernsehsender RTL ist er seit 1998 als Experte und Co-Kommentator im Einsatz. Wir haben mit ihm vor dem nächsten Rennen in den USA am kommenden Wochenende gesprochen.
Herr Danner, das aktuell größte Thema in der Formel 1 ist natürlich der Titelkampf zwischen Max Verstappen und Lewis Hamilton. Wen sehen Sie derzeit vorne?
Das ist sehr schwer einzuschätzen, denn beide befinden sich auf Augenhöhe. Das Interessante an der Angelegenheit ist vor allem, dass beide in ihrer Formel-1-Karriere so etwas in der Form noch nie hatten. Weder Verstappen noch Hamilton hatten bisher einen Konkurrenten auf Augenhöhe. So gesehen ist es wahnsinnig schwierig, den Ausgang einzuschätzen. Da wird sicherlich ein bisschen Rennglück – nennen wir es mal Fortune – den Ausschlag geben, wer letztendlich gewinnt.
Entscheidend wird wahrscheinlich auch die mentale Komponente sein. Hamilton und Verstappen haben sich beispielsweise nach ihren Crashs schon so einige Psychospielchen geliefert. Versucht man als Rennfahrer an so einem Wochenende auch zwischen den Sessions den Konkurrenten zu beeinflussen?
Das ist in den letzten Jahren etwas aus der Mode gekommen, weil es auch gar nicht nötig war. Aber psychologische Kriegsführung ist natürlich etwas, was im Spitzensport durchaus gang und gäbe ist. Diese Psycho-Schubladen werden immer dann geöffnet, wenn man nicht schneller fahren kann als der andere. Das habe ich erwartet, dass das irgendwann mal wieder kommt. Ich bin aus meiner eigenen Formel-1-Zeit aber etwas ruppigere Methoden gewohnt – wie Piquet und Senna oder Piquet und Mansell miteinander umgegangen sind. Damals gab es zwar noch kein Social Media, aber Presse gab es allemal. Da wurde also schon das psychologische Besteck ausgepackt.
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Wird Hamilton weiterhin auf die bedingungslose Unterstützung von Valtteri Bottas zählen können oder könnte sich beim Finnen so etwas wie eine Trotzreaktion einstellen, jetzt wo sein Ausscheiden bei Mercedes beschlossene Sache ist?
Nein, das glaube ich auf gar keinen Fall. Zuerst einmal ist das vertraglich geregelt, das ist zu hundert Prozent sicher. Und zweitens ist Valtteri nicht so ein Typ. Valtteri ist nicht einer, der jetzt auf beleidigte Leberwurst macht. Wenn wir die Teamkollegen der beiden ins Visier nehmen, hat Hamilton einen klaren Vorteil. Bottas kann ihm besser helfen, weil er näher dran ist beziehungsweise genauso schnell fahren kann. Das ist bei Sergio Perez meistens nicht der Fall. Deswegen ist Bottas ein sehr wertvoller Bestandteil, was die strategischen Überlegungen von Mercedes angeht, um Hamilton zu helfen.
Bottas wird im nächsten Jahr für Alfa Romeo fahren. Für ihn und alle anderen Piloten stehen dann 23 Rennen an. Ist das auf Dauer zu viel für die Fahrer?
Auf jeden Fall. 23 Rennen sind für mich Schwachsinn. Das ist für die Leute, die den Sport betreiben, zu viel. Ich bleibe da bei Andreas Seidl, dem Chef von McLaren, der gesagt hat, bei 20 Rennen sollten wir es belassen. Aber ich sehe auch noch einen anderen Grund: Wenn jedes Wochenende Formel 1 läuft, schauen die Leute irgendwann nicht mehr hin. Dieses Phänomen erleben wir gerade beispielsweise beim Fußball. Meiner Meinung nach reichen 18 Rennen. Die Weltmeisterschaft bleibt auch so attraktiv und die Fans können sich noch richtig freuen auf das nächste Rennen. Insofern ist die aktuelle Entwicklung ein großer, großer Fehler der Formel-1-Verantwortlichen.
Die Formel 1 startete zuletzt immer wieder Kampagnen, die auf gesellschaftliche Probleme hinweisen sollen. Gleichzeitig wird es bald regelmäßig Rennen in Katar geben, wo die Menschenrechtslage besorgniserregend ist. Wie passt das zusammen?
Das müssen wir ganz klar trennen. Das eine ist die Diversity-Debatte, die sich die Formel 1 mit der „WeRaceAsOne“-Kampagne sehr glaubwürdig umgehängt hat. Es gibt derzeit für niemanden ein Problem, in die Formel 1 zu kommen, wenn er denn gut genug ist. Die andere Geschichte ist die bezüglich der Menschenrechte. Das ist ein Problem, das den gesamten Weltsport immer wieder berührt. Ich verstehe aber nicht, warum man der Formel 1 einen Vorwurf macht, in Katar zu fahren, wo die Fußball-WM dort stattfindet oder der FC Bayern schon seit Jahren ein Abkommen hat.
Die Frage, die man sich stellen muss, ist eine andere: Wie kann ich eine sportliche Aktivität einsetzen, um die in dem jeweiligen Land herrschenden Missstände zu überwinden? Dadurch, dass man in so einem Land den Sport der breiten Öffentlichkeit zugänglich macht, ist das für die Gesamtsituation viel besser, als wenn man die Verhältnisse sich selbst überlässt. Die Öffnung für Sportevents führt in der heutigen Zeit immer zu einem breiteren Horizont. Das ist es auch, was kurz- und mittelfristig die Situation in den entsprechenden Gebieten ändern kann.