Zuckergeschockt

Am Checkpoint Charlie zelebriert eine Ausstellung ein nicht enden wollendes Mittsommerfest. Berlin Mitte, wer hätte das gedacht. Zu bestaunen und zu deuten gibt es hier trotz deprimierender Quadratmeterpreise die Werke junger Talente und alter Hasen. So beherbergt der temporäre Raum der Galerie KleinervonWiese eine Gruppenausstellung, die vor Farbgeilheit nur so knistert.

Ein Gemälde grüßt gleich am Eingang. Den zierlichen Vogel darauf hat ein Steinklops erdrückt. Das Bild von Kerstin Serz, seine figürliche Ehrlichkeit, schmerzt schon sehr und irritiert im selben Moment. Ist Schadenfreude wirklich die einzige Freude, die uns geblieben ist? Oder schimmert im Gefieder irgendwo ein Fünkchen Mitleid?

Breit wird sie ausgelegt, die Interpretation der Sommerfete. Mal schrammt sie dicht am Kitsch vorbei, mal begegnet sie Besuchern als furchtloses Augenzwinkern. Zwölf Künstler:innen feiern hier „Endless Summer”. Ihr Ziel: endlich wieder gute Laune. Constanze Kleiner und Stephan von Wiese haben sich vorgenommen, die Menschen während der Pandemie mit Bildern aufzupäppeln. Das funktioniert.

Da locken etwa die Creme-Törtchen von Johannes Vetter, die durch sein Gemälde rollend sich an Pastellfarben laben und für alle Selbstzweifler als Aufforderung zu verstehen sind. „Esst Kuchen…“ proklamiert der Bildtitel ungeniert. Da ist er, der Kitsch. Wären da nicht drumherum die Schatten, die die Torten umarmen.

In Zeiten, in denen man sich auf ewig zur Bewegungslosigkeit vor dem heimischen Bildschirm verdonnert wähnt, bringt einen ausgerechnet der Anblick von Sahne und Kakaomasse zum Hüpfen. So quirlig, so fluffig lässt sich dann zumindest mental aller Weltschlamassel ertragen. Ein Gedanke, den man sich nur in diesem Moment erlaubt.

Weiter ergänzen sich an den grauen Wänden die Malereien von Steve Binetti und Kerstin Dzewior. Während Binetti abstrakte Männchen in Erdtönen zum Glimmen bringt, bleibt Dzewior bei sich und inszeniert eine junge Frau, die eine nach oben gekippte Bodenklappe bezwingen muss. Fast sieht es aus, als lehne sie sich mit all ihrer Wucht und ein bisschen Rückenwind gegen das Hindernis auf.

Man möchte die Arbeit auffalten

Serz. Vetter. Dzewior – Blutstein. Zuckerschock. Überwindungskampf. „Dinge die scheinbar nicht zusammenpassen, können hier doch einen Weg zueinanderfinden“, beschreibt Constanze Kleiner die Zusammenstellung der Exponate. Das Spiel mit Perspektiven und Realitäten. Auch das gehört zum „Endless Summer“.

Dabei geben manche Werke schon Rätsel auf. Etwa die stoffliche Kunst von Anne Jungjohann. Die Galerie zeigte ihre Arbeit bereits im April in der Zionskirche unter dem Ausstellungstitel „Points of Resistance“. Jungjohann ist jeder rechter Winkel zuwider. Wie ein ineinander gefaltetes Küchentuch, fein hochdrapiert zum Akkordeon, kommen ihre Leinwandarbeiten auf Acryl daher. Fast ist man geneigt, nachzuschauen, was sich da alles zwischen den Falten versteckt. Mit einem kräftigen Ruck könnten man sie vielleicht aus ihrer letzten verbliebenen Ordnung bringen. Aber wer weiß das schon.

Und auch Kunst, die den Sommer im Wortsinn für jeden „greifbar“ macht, hält die Ausstellung bereit. Andreas Blanks Skulptur „Still Live“ besteht aus einer Sonnenbrille, wie sie die mondänen Großstadthipster seit Jahren jedem auf die Nase binden wollen. Daneben steht eine Cola-Flasche. Blank ist bekannt dafür, Alltagsgegenstände in noch regloserem Stein nachzubilden: Ob Soldatenstiefel oder Glühbirnen, eine Sisyphusarbeit muss das immer sein. Jetzt ist der Sommer dran und wird eingefroren. Aber vielleicht ist das dann auch die wirkungsvollste Methode, um zu mindestens den Gedanken an ein bisschen Vitamin-D zu konservieren. Die fröhlichen Accessoires für Festival und Picknick werden einfach dem gnadenlosen Blick der Medusa ausgesetzt.

Wem Blanks Motive zu alltäglich sind, dem wird es hingegen sicher bei MK Kähne in den Fingern kribbeln. Der Künstler stellt einen Koffer auf den Boden, dessen glattes Innenleben gefüllt mit den Abbildern zweier Orchideen ist. Schön designt sieht das aus und der Koffer wird so in gewisser Weise zum letzten großen Versprechen dieser Ausstellung. Der Sommer lässt sich eben doch festhalten und sogar eintüten. Ach, wie gern würde man jetzt mit dem Reiseutensil unterm Arm gen Strandbar aufbrechen.
Galerie KleinervonWiese, Friedrichstr. 204; bis 3. 9., Di–Do 15–18 Uhr