Zehn Stunden ohne Tor: Der 1. FC Union fremdelt im gegnerischen Strafraum

Wie im Leben lassen sich auch im Fußball viele Dinge von zwei Seiten betrachten. War der 1. FC Union Berlin beim 0:2 gegen Rasenballsport Leipzig am Sonntagabend also offensiv erschreckend harmlos, wie in so vielen Auswärtsspielen in dieser schwierigen Saison? Oder zeigte die Mannschaft gute Ansätze und ließ beim letzten Pass nur die Präzision vermissen, wie es einige Spieler und Co-Trainerin Marie-Louise Eta nach dem Spiel sagten?

Fakt ist: Wieder einmal schoss Union in der Fremde kein Tor. Im sechsten Bundesliga-Auswärtsspiel in Folge. Den letzten Treffer erzielte Leonardo Bonucci beim 2:4 gegen Borussia Dortmund am 7. Oktober vom Elfmeterpunkt, nachdem Sheraldo Becker im Strafraum gefoult worden war. Seit der zwischenzeitlichen Führung beim BVB sind mittlerweile 599 Spielminuten plus Nachspielzeit vergangen, Urs Fischer ist nicht mehr Trainer, Bonucci und Becker haben den Verein verlassen.

599

Minuten plus Nachspielzeit wartet Union schon auf ein Auswärtstor in der Bundesliga

Union hat sich in den vergangenen Wochen in vielen Bereichen stabilisiert: Die Defensive steht mit Neuzugang Kevin Vogt wieder weitgehend sicher, auch wenn die zwei Standardgegentore in Leipzig sehr ärgerlich waren. Im eigenen Stadion haben die Berliner alle drei Bundesligaspiele unter Nenad Bjelica und seinem Trainerteam gewonnen. Dass die Mannschaft dennoch weiter akut abstiegsbedroht ist, liegt vor allem an der Auswärts- und Offensivschwäche.

„Mit etwas mehr Glück schießt man vorne noch das eine oder andere Tor, da waren wir heute den Schritt zu spät oder haben einmal zu oft aufgezogen, wo wir vielleicht früher den Abschluss suchen müssen“, sagte Robin Knoche in Leipzig und ähnlich äußerten sich auch seine Kollegen. Mit mehr Präzision wäre gegen die im Umschaltspiel anfälligen Sachsen etwas möglich gewesen, doch der Konjunktiv schießt keine Tore.

Letztlich kam Union nicht über einen Kopfball von Neuzugang Yorbe Vertessen hinaus, der direkt in den fangbereiten Armen von Peter Gulacsi landete. In keinem der letzten sechs Auswärtsspiele näherten sich die Berliner auch nur ansatzweise dem Expected-Goals-Wert von eins an. Es ist also kein Pech, dass Union auswärts nicht trifft, die Mannschaft erspielt sich einfach keine klaren Chancen und hat auch ihre Stärken bei Standards verloren.

Viel Zeit, um an den offensiven Abläufen zu arbeiten, haben Bjelica, Danijel Jumic und Marie-Louise Eta nicht, denn schon am Mittwoch (18.30 Uhr, Dazn) ist Union zum Nachholspiel bei Mainz 05 zu Gast. „Ich will jetzt nicht von einem Sechs-Punkte-Spiel sprechen, aber das ist Abstiegskampf pur. Das wird brutal“, sagte Alexander Schwolow, der den erkrankten Stammtorwart Frederik Rönnow exzellent vertrat. Mit einem Sieg könnte sich Union auf neun Punkte von den direkten Abstiegsplätzen absetzen, bei einer Niederlage wäre Mainz wieder voll im Geschäft.

Not gegen Elend

Ein Fußballleckerbissen ist jedenfalls nicht zu erwarten. Union ist mit vier Punkten die auswärtsschwächste Mannschaft der Liga, Mainz hat zu Hause nur fünf Punkte geholt und liegt in der Heimtabelle auf dem letzten Platz. Zusammen mit dem 1. FC Köln schießen beide Mannschaften die wenigsten Tore in der Bundesliga. Mit einer Wette auf ein 0:0 wird man wohl kaum reich werden.

Mehr Spannung verspricht da schon die Berliner Aufstellung. In Leipzig versuchte es das Trainerteam mit Benedict Hollerbach und Vertessen im Sturm. „Die Idee war, mit schnellen, quirligen Spielern Situationen zu kreieren“, sagte Eta. Ob dies gegen die Mainzer, die deutlich weniger dominant spielen, ebenfalls eine Option sein wird, bleibt abzuwarten. Mit Mikkel Kaufmann und Neuzugang Chris Bedia stehen zwei Mittelstürmer im Kader, die das Vakuum, das der Abgang von Kevin Behrens hinterlassen hat, füllen sollen. Kevin Volland wäre die Variante für mehr Kreativität.

Die Improvisationskünste des Trainerteams sind jedoch vor allem auf der rechten Außenbahn gefragt. Christopher Trimmel ist nach seiner Roten Karte gesperrt, Josip Juranovic war zuletzt verletzt und am Sonntag klang es nicht so, als wäre in Mainz mit dem Kroaten zu rechnen. „Wir werden uns was überlegen bis Mittwoch“, sagte Eta.