Windelweich in die Referenzenhölle
Bekannt sein dürfte der US-amerikanische Künstler Bill Sienkiewicz vor allem durch Doug Moenchs und Don Perlins für Marvel erdachte Batman-Kopie „Moon Knight“.
In der fortlaufenden Heftserie jazzte Sienkiewicz, Absolvent einer Kunstschule, die anfangs an Neal Adams orientierte und somit wegen dessen langjähriger Tätigkeit für den Fledermausmenschen nicht unpassende Grafik, immer wüster improvisierend mit expressionistischen Einsprengseln hoch – wobei dieses Verfahren wortwörtlich besonders die um Kindesmisshandlung und Jazz kreisende 26. Ausgabe aus dem Jahr 1982 „Hit It!“ auszeichnet.
Gleichermaßen legte diese stilistisch eine Art Grundstein für seinen künstlerischen Alleingang „Stray Toasters“, der jetzt erstmals auf Deutsch veröffentlicht worden ist (Übersetzung Bernd Kronsbein, Splitter, 224 Seiten, 29,80 €).
Doch vor dieser Tätigkeit als Solist betreute Sienkiewicz mit Chris Claremont Mitte der 1980er Jahre einen zumindest stellenweise noch wilder anmutenden X-Men-Ableger namens „New Mutants“.
Endgültig verfestigte er seine schnappatmende Multi-Stilistik 1986 in Frank Millers „Elektra: Assassin“. Festigen bedeutet in Sienkiewics Fall allerdings nur ein weiteres Aufbrechen der von ihm vorgefundenen Strukturen.
Kunst kommt von Können
Im 1988er Werk „Stray Toasters“ zieht der damals gerade 30-Jährige dann alle Register. Zum Einsatz kommt eine an Illustrator und Comiczeichner Barron Storey sowie Jugendstilist Gustav Klimt geschulte Technik.
Unterwegs lädt Sienkiewicz Passagiere ein: So den das Pink-Floyd-„The Wall“-Album-Innencover gestaltenden Gerald Scarfe und dessen Kollegen Ralph Steadman, der Hunter S. Thompsons verdrogten Roman über den Gonzo-Journalismus „Angst und Schrecken in Las Vegas“ kongenial illustrierte.
Danach rast die muntere Truppe in Personalunion krachend auf Installationen á la denen des durch „Sandman“-Titelbilder bekannten Dave McKean und Collagen von Marvel-Monarch Jack „King“ Kirby zu.
[Weitere Tagesspiegel-Artikel zu Jack Kirby gibt es hier: König der Superhelden, Der Entfesselungskünstler.]
Druckbetankt wird mit Treibstoff aus nordamerikanischer Cartoonisten-Provenienz – Einflüsse von Playboy-Cartoons sind unverkennbar, eine direkte Linie zu dem aus dem EC-/Mad-Umfeld entstammenden Will Elder sowie seiner in Playboy erschienen Sex-Satire „Little Annie Fanny“ und somit zu Mad‘s Paul Coker, Jr. ziehend. Die fiktive Anzeige einer Toasterfirma im Comic liest sich deshalb ziemlich exakt wie ein Beitrag jenes legendären Satire-Magazins.
Als wäre all das für unbedarfte Leser*innen nicht schon genug, zelebriert der Autor eine am Schriftsteller John Dos Passos, Vertreter des angloamerikanischen Modernismus, orientierte nichtlineare, also Sienkiewiczs Darstellungskonzept gehorchende collagenhafte Erzählstruktur.
Mittels Zeitungsausschnitten und Seiten voll mit bildschirmartigen Panels bildet er so unterbrochene Bewusstseinsströme statt durchgängiger Narrative ab. Eine Darstellungsweise, die, bereits 1983 einem Teil der Comic-Leserschaft in Howard Chaykins „American Flagg!“ nahegebracht und 1986 mittels Frank Millers „The Dark Knight Returns“ maßgeblich popularisiert wurde, nur dass Sienkiewicz noch wesentlich radikaler als Chaykin und Miller vorgeht.
Emanzipation einer Kunstform
Was in „Stray Toasters“ die Aufklärungsversuche grässlicher Morde durch Menschmaschinen seitens des auch schon mal Katzen meuchelnden Kriminalpsychologen und Autoren Dr. Egon Rustemagik, der, umwölkt von weiß geflügelten Elefanten in Purpurrosa und so alkoholische Exzesse und Selbstzweifel veranschaulichend, nicht gerade leicht verfolgbar macht.
Zumal Satan höchstselbst zwischendurch mit allerlei Nettigkeiten gespickte Urlaubspostkarten aus der Hölle an seine eigene, und mit einer Frau sowie zwei Söhnen dem klassischen Bild der amerikanischen Familie gehorchenden Anhang verschickt.
Jedenfalls, in der eh schon durch und durch familiären Story sinkt folgerichtig die Geburtenrate von Mädchen, was diese natürlich insgesamt nach unten drückt und unter anderem als Kommentar auf den rüden Umgang mit Frauen im plötzlich sich erwachsen gebenden US-Comic gelesen werden darf, der doch jahrzehntelang seine Unterwäsche über den Beinkleidern trug.
Durch den unglücklich als Titelmotiv des Comics verwandten Frauenmord, übernommen von der 2008 erschienenen Image-Ausgabe, wird die Rate potenzieller an Comic-Historie interessierter Leserinnen allerdings leider ebenfalls gesenkt.
Dabei bot die in den USA ursprünglich in vier Teilen veröffentlichte Mini-Serie unglaubliche Blickfänger als Cover auf, wie auch der Comic selbst eine Augenweide war und ist. Für ein Werk, das es auf Grund seiner Widerborstigkeit eh schwer am Markt haben wird, eine vertane Chance.
Scheitern tut das Opus Magnum Sienkiewiczs an dem permanent vor sich her getragenen Versuch des Gottesbeweises, i.e. der Comic ist Kunst. Das beginnt mit der Erwiderung gegenüber einem seine Sachbücher runtermachenden Vorgesetzten, er werde zu dessen Freude bald ein Kinderbuch mit „viele(n) Bildern und ganz wenig Text“ herausbringen. Dieses Vorgehen wiederholt sich auf den folgenden Seiten, Bemerkungen wie „Lies einen Comic oder so was“ und der Verweis auf den „kahlen Jungen mit dem sprechenden Hund auf der Comicseite“ tun ihr Übriges.
[Mehr über Bill Sienkiewicz gibt es auf den Tagesspiegel-Comicseiten unter anderem hier, hier und hier.]
Das ist dann genauso on the nose wie der Symbolismus im geschlechterlichen Hin- und Her von Bohrern und Ofen oder den oberhalb aufgerissener und zähnenbewehrter Lippen platzierten Mann, in der Silhouette einen Penis nebst Hoden ergebend, ohne die ewig unterschwellige Kastrationsdrohung durch die Vagina Dentata zu vernachlässigen; kein Wunder in einem von Psycholog*innen und Psychopath*innen überproportional bevölkerten Comic.
Dem Versuch der Vollständigkeit gehorchend sei auch der in Windeln gewandete Anwalt erwähnt, der sich von einer Domina demütigen lässt.
Besonders schön und vertretend für dieses aus dem Wunsch der Etablierung als anerkannte Kunstform entstandene überfrachtete Werk ist das Bild des vernachlässigten Waisen Todd. Dieser, einen Toaster am Kabel hinter sich wie ein Ersatzhaustier herziehend, verweist auf die vergebliche Bändigung herumstreunender Energien, was den Geist von „Stray Toasters“ exakt auf den Punkt bringt. Manchmal, und aller wohlmeinenden Ambitionen zum Trotz, sagt ein Bild doch mehr als tausend Panels.