Wie ein Bayern-Fan das 0:5 von Gladbach erlebt hat
Taubheit? Betäubung? Zur Schau gestellte Gleichgültigkeit gegenüber Kollegen und Bayern-Hassern? Und was ist mit der Erfolgsverwöhntheit, der ausgebliebenen Dosis? Man könnte für Bayern-Fans am Tag nach einer schweren Niederlage, die so selten vorkommt, verschiedene Verhaltens- und Gefühlsmodi auflegen. Keiner davon greift wirklich.
0:5 im DFB-Pokal bei Borussia Mönchengladbach. Das Beste an dieser Niederlage war noch, dass sie am Mittwochabend so früh feststand, dass es so glasklar eineindeutig war. Dann tut es tatsächlich nicht so weh, wie zum Beispiel der verlorene Champions-League-Titel 1999, die Gegentore von Manchester United in der Nachspielzeit, dieser einzigartigen Tragödie.
Eine solche Tragödie war das jetzt nicht. Ganz ehrlich, ohne zur Schau gestellte Gleichgültigkeit. Vielleicht oder gerade weil Bayerns Pokal-Aus auch 24 Stunden später noch irgendwie unerklärlich bleibt. Klar, der allseits gewiefte Trainer Julian Nagelsmann saß quarantänebedingt zuhause in der Küche, ohne die Möglichkeit, direkt einzugreifen und anzusprechen, was mindestens in der Halbzeitpause schon mal hätte helfen können.
Auch danach galt: Nagelsmanns Spieler liefen über den Platz, als ob sie sich, von ihren Namen und ihrer eigenen – scheinbaren – Übermächtigkeit berauscht, darauf verlassen würden, dass der Nebenmann die 20, 30 Prozent mehr an Leistungswillen auf den Platz bringt, die man selber an diesem Abend vermissen lässt.
Mal abgesehen von grandios aufspielenden Gladbachern, die selber nicht wussten, wie ihnen geschah, nachdem sie am Samstag noch bei Hertha BSC verloren hatten. Gratuliere, Borussia, tolle Leistung!
Für Bayern entschuldigend erwähnt werden könnte noch die Causa Hernandez, der wegen privater Verfehlungen fast im Gefängnis landete, dann doch nur auf Bewährung weiter draußen bleibt, und der Problemfall Joshua Kimmich, der sich einfach nicht gegen Corona impfen lassen will. Viel Unverständnis im und um den Klub, viel Trouble im Kopf. Es gab schon ruhigere Tage beim FC Hollywood, der eigentlich schon lange kein FC Hollywood mehr ist.
Wenn es darauf kam, waren „wir“ ja immer da
Reicht das als Erklärung für diese Schlappe? Kaum. Vergessen wir nicht, und das soll jetzt wirklich nicht arrogant klingen: Wenn es darauf kam, waren „wir“ ja immer da, das Champions-League-Finale 1999 in Barcelona klammern wir jetzt mal aus. Das ist ja die Bayern-Legende, der Bayern-Mythos seit Beckenbauer, Müller, Maier, Effenberg, Neuer, Lewandowski undundund. Forever Number One.
Gerade wieder in den vergangenen Wochen. Nach dem 5:1 in Leverkusen, dem 4:0 in Lissabon und 4:0 gegen Hoffenheim sollte Gladbach kein Stolperstein sein. (Das 1:2 gegen Frankfurt vor Wochen in der Meisterschaft zuhause ließ sich spielerisch erklären und danach auch mit allzu selbstverständlichen Siegen verschmerzen). Dachte man.
Und dann das. Kollektives Versagen im Borussia-Park. Hilf- und Ratlosigkeit vor dem Bildschirm, zumindest bei denen, die die weiß-blaue Raute im Herzen tragen.
Ja, es stimmt, solche Niederlagen bin ich und mit mir wohl rund zehn Millionen Bayern-Fans in Deutschland nicht gewöhnt. Viele haben mich am Donnerstag gefragt: Was machst du während und nach so einem Spiel, wenn es nach 20 Minuten 0:3 gegen deinen FC Ruhmreich steht?
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Ich habe gesagt: Auf keinen Fall abschalten, wie es der gleichfalls enttäuschte Sohn empfahl, der extra länger aufbleiben durfte. Besser dranbleiben und versuchen, den Rest der Wirklichkeit über sich ergehen und ganz ganz nahe rankommen zu lassen, mit scheinbar sadistischer, aber am Ende möglicher kathartischer Wirkung.
Mal raus aus diesem Hamsterrad à la Oliver Kahn, der Ende der 1990er ob dieses ewigen Erfolgsanspruchs und Drucks fast depressiv wurde. Wenn du immer weitergehst, kannst du eben nirgends mal stehen bleiben und sagen: Mensch, ist das schön hier. Von Titel zu Titel zu Titel. Eine nie enden wollende Hatz.
Schön und leidenschaftlich und ehrlich ist ja angeblich woanders. Wie oft mussten und müssen wir Bayernfans uns gegenüber Anhängern von Gladbach, BVB, Schalke, Köln etcpp. verteidigen oder gar rechtfertigen, dass wir doch nur „Erfolgsfans“ seien, denen in den 1970ern, 80ern oder 90ern nichts Besseres/Wärmeres/Opportunes eingefallen ist, als sich den Verein auszusuchen, der garantiert immer ziemlich weit oben steht.
Wohnhaft oft Hunderte von Kilometern entfernt („Du kommst doch aus Braunschweig? Wieso bist du Bayern-Fan?“), ohne Rasen und Geruch von Olympiastadion oder heutiger Arena.
Also, wehe, 1. FC Union, Rache am Samstag in der Bundesliga?
Als uneigentlicher, unechter Fußballfan betäubt gegenüber allem Leid, allem Hoffen und Bangen, allem Auf- und Abstieg, wie es dem Rest der Fanrepublik, fast als Privileg, zu eigen ist. Hier die arroganten rot-weißen Fanzombies, dort Gefühligkeit und Wärme, so das Klischee. Das Gegenstück zu „Mia san mia“ hieße „Wir sind Fußball“, hat Jürgen Klopp mal gesagt, und das wird nicht wahrer, je öfter es behauptet wird.
Oder wie ich vor Jahren mal an dieser Stelle (ironisch!) für die „11 Freunde“ schrieb. „Liebe Bayern-Hasser, so merkt es endlich: Uns Bayern-Fans ergeht es irgendwann wie einem Drogenjunkie, dem die Dosis von Woche zu Woche nicht hoch genug gesetzt werden kann, um überhaupt noch etwas zu spüren.“
Ja, sicher, ich wäre gerne mit meinen Bayern weiter im DFB-Pokal geblieben. Ich werde dereinst im Achtelfinale, wenn Dortmund vielleicht gegen Gladbach spielt und wir draußen bleiben und zuschauen müssen, wohl auch nicht ganz so gleichgültig sein, wie es hier den Anschein hat.
Aber: Am Donnerstag habe ich als Fußballfan, trotz leicht merkwürdigem Gefühl der Betäubung, tatsächlich etwas anders gespürt, ja, ich habe mich sogar irgendwie lebendiger gefühlt. Auch die Schadenfreude in den Sportforen habe ich mir, relativ entspannt, geschenkt. Steuer-Uli und Rolex-Kalle, Häme und heftige Kommentare, das gehört zur Fan-Folklore.
Bayern-Hasser, glaubt es oder glaubt es mir nicht: Es hatte mit dem 0:5 rein menschlich und Raus-aus-dem-Hamsterrad-mäßig auch was für sich. Und nochmals: Chapeau, Borussia Mönchengladbach!
Und nun? Es gibt ja noch andere Titel. Bayerns Interimstrainer Dino Toppmöller hat schon angekündigt: „Wir müssen eine Reaktion zeigen, und die wird mit Sicherheit kommen.“ Vielleicht sogar schon wieder mit Einpeitscher Nagelsmann auf der Bank.
Also, wehe, 1. FC Union, Rache am Samstag in Köpenick ab 15 Uhr 30 in der Bundesliga? Nein, so weit werde ich hier nicht gehen. Einem Bayernfan und temporären Leidensgenossen fiel am Mittwochabend nach dem ersten frühen Gladbacher Tor nichts Besseres ein, als seinen Mitsehern im Raum ein „Na, dann gewinnen wir halt 4:1!“ zuzurufen. Hochmut kommt vor dem Fall. Das gilt schon auch für Bayern-Fans.