Weltmeisterin im Schachboxen: „Sobald man einen auf die Rübe bekommen hat, lässt die Konzentration nach“
Alina Rath, Sie sind dreimalige Weltmeisterin im Schachboxen. Steigen Sie lieber in den Ring oder spielen Sie lieber Schach?
Beides. Ich mag die Kombination. Ursprünglich komme ich aus dem Schach, daher fällt mir das leichter. Aber das Großartige am Kampfsport ist: Man geht hin und danach ist der Kopf klar. Ich bin danach tiefenentspannt.
Lässt beim Schach irgendwann die Konzentration und beim Boxen die Kraft nach?
Der Einfluss vom Boxen auf Schach ist größer als umgekehrt. Der Puls ist zu hoch, um sich wirklich zu konzentrieren. Man hat zwar eine Minute Zeit zur Regeneration, aber das ist eigentlich zu wenig. Die erste Runde Schach geht noch, aber bei der zweiten Runde unterlaufen einem schon Fehler. Sobald man einen auf die Rübe bekommen hat, wird es schwer.
Wie sind Sie zum Schachboxen gekommen?
Ein Freund hat mich zu einem Schachboxen-Event mitgenommen. Ich habe schon vorher Schach gespielt und Kampfsport gemacht. Da war es der logische Schritt, das auszuprobieren. Ich hätte nicht gedacht, dass ich irgendwann zu einer Weltmeisterschaft fahren würde …
… aber mittlerweile sind Sie dreimalige Weltmeisterin.
Ja, darüber habe ich mich gefreut. Die ersten beiden Titel habe ich bereits in der ersten Schachrunde gewonnen, dadurch musste ich gar nicht boxen. Das war schade, ich hätte gern auch im Boxen gezeigt, was ich kann. Aber das Level im Schach ist in diesem Hybridsport niedriger als beispielsweise in der Bundesliga, wo ich antrete.
Erst im letzten Jahr musste ich bei der WM auch zwei Runden boxen. Meine Gegnerin war Boxerin und hat im Schach versucht, die Zeit runterlaufen zu lassen. Deshalb bedeutet mir dieser WM-Titel am meisten. Es war harte Arbeit, im Ring zu gewinnen.
Die Sportart Schachboxen gibt es erst seit dem Jahr 2003. Merkt man das?
Ja, es gibt zum Beispiel wenige Vereine. Schachboxen ist nicht weit verbreitet. Viele Menschen kennen die Sportart gar nicht und es gibt kaum finanzielle Förderungen. Natürlich kann ich theoretisch an internationalen Turnieren in Ländern wie Indien teilnehmen. Dafür muss ich aber erst einmal Urlaub beantragen und die Kosten selbst tragen. Das erschwert es.
Ist das in Ländern, in denen Schachboxen populärer ist, anders?
Die größten Delegationen stellen Indien und Russland. Soweit ich weiß, werden Schachboxer in Indien sogar vom Staat gefördert. Wenn dort Sportler den WM-Titel gewinnen, werden sie von hochrangigen Politikern am Flughafen abgeholt. Das wäre in Deutschland undenkbar.
In anderen Sportarten werden russische Athleten seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine ausgeschlossen. Wie ist das im Schachboxen?
Im Schachboxen werden sie nicht ausgeschlossen. Bis zum letzten Jahr hatte ein indischer Kollege den Vorsitz bei der World Chess Boxing Organisation inne. Aufgrund der diplomatischen Beziehung zwischen Indien und Russland stand die Teilnahme russischer Athleten nicht ernsthaft infrage.
Der erste Schachbox-Wettkampf überhaupt fand im Berliner Scheunenviertel statt. Welche Bedeutung hat die Sportart für die Stadt?
Berlin ist der Geburtsort von Schachboxen. Bis heute fühlen wir uns verbunden zu Iepe Rubingh, der die Sportart erfunden hat, jedoch 2020 plötzlich verstorben ist. Wir versuchen, Schachboxen für ihn bekannter zu machen. Das war immer sein Traum, und den wollen wir weiterleben. Rubingh hatte eine ganz andere Reichweite als wir. Mit seinem Tod ist Schachboxen erst einmal untergegangen. Aber das ändert sich gerade …
Inwiefern?
Der Sport wird populärer. Vor einer Weile wurde ich sogar auf der Straße erkannt, als ich mit dem Fahrrad unterwegs war. Da hat mich jemand von hinten auf die Schulter getippt und gefragt, ob ich nicht die Schachbox-Weltmeisterin sei. Das hat mich gefreut.
Wie steht es um die sportliche Infrastruktur in Berlin?
Wir veranstalten mittlerweile regelmäßig Turniere und Show-Kämpfe im Mauerpark. Die tragen enorm zur Sichtbarkeit bei. Aktuell gibt es aber in Berlin nur einen Verein. Aufgrund fehlender Hallenzeiten ist es schwierig, die Sportart auszubauen und mehr Vereine zu gründen. Aber es lässt sich festhalten: Die letzten Events des World Chess Club waren schnell ausverkauft. Das ist ein gutes Zeichen. Als Iepe Rubingh noch gelebt hat, war sogar einmal der Festsaal Kreuzberg gefüllt. Vielleicht schaffen wir das noch einmal.
Magnus Carlsen hat in einem Instagram-Video gesagt, dass er für zehn Millionen Dollar mit dem Schachboxen anfangen würde.
Alina Rath
Welche Menschen kommen zu den Turnieren?
Wir erreichen mit Schachboxen andere Zielgruppen als im Schach oder beim Boxen. Die meisten Zuschauer sind jung und hip. Die Kombination der gegensätzlichen Sportarten finden viele interessant.
Iepe Rubingh hat Schachboxen als eine Kunstform bezeichnet. Gilt das immer noch oder würden Sie von einer Sportart sprechen?
Es gibt noch Urgesteine, die Schachboxen als Kunstform sehen. Denen geht es nicht ums Verlieren oder Gewinnen. Im Vordergrund steht die Schönheit von Schachboxen und die Verbindung der Gegensätze. Bei der WM im letzten Jahr habe ich mich mit einem Waliser unterhalten, der Schachboxen tatsächlich als Kunst sieht. Aber für die meisten ist es Sport. Ein schöner und ungewöhnlicher Sport, aber eben ein Sport.
Vor einigen Jahren löste die Netflix-Serie „Das Damengambit“ einen kleinen Hype aus. Tragen solche Serien zur Popularität der Sportart bei?
Ich denke schon. Danach haben viele mit dem Schachspielen angefangen. Auch ein Event 2022 in Los Angeles hat zur Popularität beigetragen: Da waren viele Twitch-Streamer dabei, die ihre Wettkämpfe im Schachboxen gestreamed haben. Das hatte eine völlig neue Medienwirksamkeit. Die Klicks auf Youtube waren unglaublich, da kommt eine WM normalerweise nicht ran. Die Qualität im Schach und Boxen war zwar niedriger als sonst, aber dafür wurden wahnsinnig viele Leute erreicht.
Das klingt, als hätten die sozialen Medien eine wichtige Bedeutung für die Community.
Absolut. Das sieht man auch mit Blick auf bekannte Schachspieler wie Magnus Carlsen. Er hat in einem Instagram-Video gesagt, dass er für zehn Millionen Dollar mit dem Schachboxen anfangen würde. Es hilft total, wenn Vorbilder wie Carlsen unsere unbekannte Sportart erwähnen. Das weckt Aufmerksamkeit und Neugier. Wenn man jetzt noch zehn Millionen Dollar hätte und er tatsächlich Schachboxen ausprobieren würde …
Würden Sie Magnus Carlsen gern mal im Ring sehen?
Unbedingt. Er könnte ein richtiges Zugpferd für den Sport sein. Man bräuchte aber einen Schachgegner auf Augenhöhe, damit sich das lohnt. Denkbar wären die US-amerikanischen Großmeister Hikaru Nakamura oder Hans Moke Niemann. Magnus Carlsen hat Niemann bei einem Turnier im Jahr 2022 Betrug vorgeworfen.
Der Vorfall wurde mittlerweile untersucht und der Schach-Weltverband hat Carlsen zu einer Geldstrafe verurteilt. Er soll Niemann zu Unrecht des Betrugs bezichtigt haben …
Genau. Gute Freunde werden die beiden wohl kaum. Ich weiß nicht, ob solche Geschichten eher gut oder schlecht für die Popularität des Sports sind (lacht). Aber wenn die beiden in den Ring steigen und die Angelegenheit im Schachboxen klären würden, wäre das sicher lustig.
Frauen sind sowohl im Schach als auch im Boxen in der Minderheit. Wie ist das im Hybridsport?
Ich bin zum Glück nicht mehr allein unter Männern. In meinem Verein trainieren mittlerweile zwei weitere Frauen. Eine von beiden hat sich erst nicht getraut, allein zu kommen und hat dann eine andere Spielerin begleitet.
Ich kann das verstehen. Ich habe damals auch eine Freundin vom Kampfsport mitgeschleppt – obwohl das unnötig ist. Die Leute sind umgänglich und wir sind multikulturell aufgestellt, was Altersklassen und Hintergründe angeht. Man braucht als Frau keine Angst zu haben. Im Schachboxen gibt es keine bösen Sprüche.
Das klingt anders als im Schach, wo zahlreiche Spielerinnen im vergangenen Jahr einen Brief unterzeichnet haben, in dem sie sexualisierte Gewalt und Diskriminierung anprangerten.
Das Problem hatte ich im Schach auch. Ich musste mir sexistische Sprüche anhören und wurde nicht ernst genommen. Auch im Kampfsport wollten Männer manchmal nicht mit mir trainieren. Aber im Schachboxen habe ich solche Erfahrungen bislang nicht gemacht.
Was haben Sie sich für dieses Jahr vorgenommen?
Ich will den WM-Titel verteidigen und ich würde gern an mehr Wettkämpfe teilnehmen. Das ist aber gar nicht so leicht: Ich entspreche nicht den üblichen Kampfsportlerinnen, die meist im Bereich 60 Kilogramm antreten. Für mich ist es daher schwer, Gegnerinnen zu finden.