Hausfrauen und andere Pionierinnen
Ihre Gedichte seien ein wenig übertrieben, heißt es in dem literarischen Zirkel, den die Hausfrau Fumiko besucht. Dabei sind ihre Tankas autobiografische Zeugnisse ihres unglücklichen Lebens. Ihr Ehemann trinkt und betrügt sie, von ihren kreativen Ambitionen sieht er sich in seinem Wert herabgesetzt.
Kurz nach der Scheidung folgt die nächste Erschütterung. Fumiko erkrankt an Brustkrebs und muss sich einer Mastektomie unterziehen. Gleichzeitig wird sie als Lyrikerin über die Grenzen Hokkaidos hinaus bekannt.
In ihrer filmischen Annäherung an die japanische Dichterin Fumiko Nakajo geht Regisseurin Kinuyo Tanaka ähnlich unerschrocken vor. „Forever a Woman“ (1955) – der japanische Originaltitel ist dem Gedicht „Die ewigen Brüste“ entnommen – erzählt, wie Krankheit, Befreiung und die Entwicklung der eigenen künstlerischen Stimme einander bedingen. Die Passionsgeschichte, die im Ansatz vorhanden ist, wird von der unberechenbaren Protagonistin beständig niedergerungen und momenthaft aufgesprengt.
Einmal entblößt Fumiko ausgerechnet in der Badewanne eines heimlich begehrten und inzwischen verstorbenen Mannes ihren Oberkörper – und genießt den Schock, den ihr Anblick bei seiner Witwe auslöst.
Als die Schauspielerin Kinuyo Tanaka mit 42 Jahren beschloss, hinter der Kamera zu arbeiten, konnte sie auf Auftritte in mehr als 200 Filmen zurückblicken, darunter in Werken von Kenji Mizoguchi, Yasujiro Ozu und Mikio Naruse.
Für die Rolle der Regisseurin gab es in Japans patriarchalisch organisierter Filmindustrie eine Vorbilder. Mit Tazuko Sakana hatte vor Tanaka nur eine einzige Frau bei einem japanischen Spielfilm Regie geführt.
[Behalten Sie den Überblick über alle wichtigen Entwicklungen in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]
Im Berliner Arsenal-Kino sind die sechs Filme, die Tanaka zwischen 1953 und 1962 realisierte, nun im Rahmen einer Werkschau zu sehen. Komödiantische Töne (in dem auf einem Drehbuch von Ozu basierenden „The Moon has Risen“, 1955) stehen neben Melodramen, das schnörkellose Drama neben dem prachtvollen Historienfilm in Cinemascope „The Wandering Princess“ von 1960.
Auch wenn ihr Werk nicht unbedingt kohärent wirkt: Gemeinsam ist Tanakas Filmen der Fokus auf gesellschaftspolitische Themen und auf Frauenfiguren, die sich den vorgegebenen sozialen Rollen nicht fügen. In „Love Letter“ (1953) geht es um Beziehungen zwischen Japanerinnen und amerikanischen Soldaten und die damit verbundene Ächtung, „Girls of the Night“ (1961) befasst sich mit Prostitution und den staatlichen Integrationsprogrammen für Sexarbeiterinnen. In „Love Under the Crucifix“ (1962), Tanakas letzter Regiearbeit, nimmt eine gläubige Christin für ihre Liebe zu einem Samurai ihr Schicksal selbst in die Hand.
Allen Einschränkungen zum Trotz sind die Frauen in Tanakas Filmen immer schon weiter
Die Sprache ist für die Heldinnen ein essenzielles Medium – sei es in freimütigen Bekenntnissen, in Gedichten oder Briefen. In „Love Letter“, Tanakas einzigem Film mit einer männlichen Hauptfigur, sind echte und fabrizierte Gefühle kaum voneinander zu trennen.
Der Marineveteran Reikichi lebt ganz in der Erinnerung an seine Jugendliebe Michiko, die zunächst nur als Stimme präsent ist. Seine unerfüllte Sehnsucht findet Ausdruck in seiner Tätigkeit als Ghostwriter von Liebesbriefen an ehemals in Japan stationierte GIs. Als unter den Auftraggeberinnen irgendwann „Mitchy“ auftaucht, steht Reikichi ein langer Lernprozess bevor.
Trotz all der Einschränkungen, die die Gesellschaft ihnen aufbürdet, sind die Frauen in Tanakas Filmen immer schon weiter. Mit ihren Gefühlen sind sie ganz im Klaren.