Warum 2021 ein großes Jahr für Team Regenbogen war
Es war eine Weihnachtsansprache der etwas anderen Art: In einem knapp fünfminütigen Video wandte sich der britische Wasserspringer und Olympiasieger Tom Daley an seine Fans und sprach über mentale Gesundheit, Coming-Out und die Rechte von trans Menschen. Neben ihm stapelten sich Wollknäule in bunten Farben. Während er seine Stricknadeln auf und ab bewegte, sagte er: „Ich habe unglaubliches Glück, dass ich mein Leben als offen schwuler Mann leben kann. Meine Familie, Freund*innen, andere Wasserspringer und meine Trainer*innen haben mich sehr unterstützt.“
Das sei aber gerade im Leistungssport nicht immer so: „Es gibt über 65.000 Menschen, die professionell Fußball spielen. Und wisst ihr, wie viele davon offen schwul sind? Einer. Ein einziger Fußballer hat sich in der Lage dazu gefühlt, sich zu outen und über seine Sexualität zu sprechen.“
Daley bezog sich dabei auf den Australier Josh Cavallo, der als erster aktiver Profi-Fußballer in diesem Jahr öffentlich gemacht hatte, schwul zu sein. Rein statistisch gesehen könne es aber gar nicht sein, dass kein einziger Spieler in der Premier League schwul oder bisexuell sei, sagte Daley. Mindestens ein schwuler Mann in jedem Verein lebe also eine Lüge. Er wünscht sich, dass sich das im nächsten Jahr ändert, dass ein „unglaublich mutiger“ Spieler der höchsten englischen Spielklasse sich outet und damit Athlet*innen auf der ganzen Welt Mut macht.
Aber auch wenn es dorthin wohl noch ein langer Weg ist, gab es in diesem Jahr allerhand andere sportliche Gründe für Mut. Da fallen einem viele wichtige Momente ein.
Zunächst war da natürlich Péter Gulácsi, ungarischer Nationaltorhüter und Stammspieler bei RB Leipzig, der Rückgrat bewies und zeigte, wie man sich mit queeren Personen solidarisieren kann, ohne selbst von Diskriminierung betroffen zu sein. In einem Facebook-Post kritisierte er im Februar die homofeindliche Politik seines Heimatlandes Ungarn und sprach sich gegen die Gesetzesänderung aus, nach der homosexuellen Paaren die Adoption von Kindern verboten ist. „Familie ist Familie, das darf für niemanden ein Problem sein.“ Vor wenigen Wochen bekräftigte er im Interview mit dem Tagesspiegel, dass er für seine Werte einsteht.
Solidarität mit queeren Athlet*innen
Auch die Formel-1-Piloten Lewis Hamilton und Sebastian Vettel kritisierten immer wieder die ungarische Politik und sicherten der LGBTIQ*-Community in den sozialen Medien ihre Unterstützung zu. Hamilton etwa sagte: „Es ist inakzeptabel, feige und irreführend von den Machthabern, ein solches Gesetz vorzuschlagen.“ Und sein Rivale Vettel erschien beim Großen Preis von Ungarn mit Turnschuhen in Regenbogen-Optik.
Eine Welle der Solidarität ereignete sich wenig später, als 800 Fußballer*innen homosexuellen Spielern ihre Solidarität versprachen. „Wir werden euch unterstützen und ermutigen und, falls notwendig, auch gegen Anfeindungen verteidigen. Denn ihr tut das Richtige, und wir sind auf eurer Seite“, hieß es in einem Appell, den das Fußballmagazin „11 Freunde“ veröffentlichte. Zu den Unterzeichnern gehörten prominente Profis wie Max Kruse (1. FC Union), Nationalspielerin Almuth Schult und ganze Teams von Profiklubs.
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Für die Aktion erhielten die Beteiligten viel Lob, allerdings gab es auch Zweifel an der Wirkung. Manuela Kay vom lesbischen Magazin L-Mag etwa sagte: „Für alle, die mitgemacht haben, war es eher ein ,Coming in’, sie haben gezeigt, dass sie auf jeden Fall nicht schwul sind. Das bringt uns keinen Schritt weiter.“
Dass sich der Fußball beim Thema Queerness leider manchmal eher zurück- als fortbewegt, bewies Ex-Nationalspieler Philipp Lahm, der in seinem Buch davon abriet, sich zu outen. „Gegenwärtig scheinen mir die Chancen gering, so einen Versuch in der Bundesliga mit Erfolg zu wagen und nur halbwegs unbeschadet davonzukommen“, sagte er.
Eine erfreuliche Nachricht erreichte hingegen die Berliner Sportwelt: So verkündete Benjamin Patch, der erste offen queere Spieler einer deutschen Profiliga, dass er seinen Vertrag bei den BR Volleys verlängern wolle, wegen „der totalen Ermutigung und der Unterstützung durch den Verein und die Stadt“. Patch, der in einem Interview mit dem Tagesspiegel zum ersten Mal öffentlich darüber gesprochen hatte, queer zu sein, möchte dazu beitragen, traditionelle Männlichkeitsbilder im Leistungssport zu durchbrechen: „Ich bin dankbar, dass ich dazu beitragen kann, Platz für alle Menschen im Sport zu machen.“
Kein Stadion in den Regenbogenfarben
Apropos Männlichkeitsbilder… Die spielen gerade im Fußball nach wie vor eine große Rolle. Das zeigte sich bei der Fußball-Europameisterschaft, als die Beleuchtung des Münchner Fußballstadions vor dem Spiel gegen Ungarn zur Staatsaffäre wurde und Außenminister Péter Szíjjártó von einer „politischen Provokation gegen Ungarn“ sprach. Auch die Uefa sah in der Beleuchtung eine gezielte Politisierung und untersagte sie kurzerhand.
Einzig Manuel Neuer ließ sich von dem Verbot nicht beirren und lief beim Spiel gegen Ungarn trotzdem mit seiner Regenbogenarmbinde auf. Leider landete sie nach dem Turnier allerdings schnell wieder in der Schublade und wurde durch den „Qatar Airways“-Aufnäher auf dem Bayern München-Trikot ersetzt.
Dafür gab es bei den Olympischen Spielen in Tokio im Juli mehr Regenbogen denn je. Mindesten 180 Athlet*innen, die offen queer sind, gingen an den Start. Das waren mehr als bei allen anderen Olympischen Spielen zusammengerechnet. Wäre Team Regenbogen als eigene Nation angetreten, hätte es im Medaillenspiegel Rang sieben belegt, noch vor Deutschland, Frankreich und Italien.
“Schwuler Mann und gleichzeitig Olympiasieger”
Zunächst war da natürlich Wasserspringer Tom Daley, der Gold im Synchronspringen holte und sich bei der Siegerehrung in einem bewegenden Statement für die Rechte queerer Personen aussprach. Er überzeugte die Zuschauenden nicht nur durch Sätze wie „ich bin unglaublich stolz, sagen zu können, dass ich ein schwuler Mann und gleichzeitig Olympiasieger bin“, sondern auch durch seine Strickarbeiten.
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Dann war da noch die Gewichtheberin Laurel Hubbard, die als erste Athletin, die offen trans ist, an den Start ging. Sie schied zwar bereits nach drei ungültigen Versuchen aus, aber sagte nach dem Turnier: „Ich bin einfach so dankbar, dass ich die Gelegenheit hatte, hierher zu kommen und ich selbst zu sein.“ Und auch Quinn vom kanadischen Nationalteam schrieb Geschichte als erste Person, die offen trans nicht binär ist, und die Goldmedaille geholt hat.
Gerade trans und nicht binäre Personen haben es im Leistungssport, in dem Zweigeschlechtlichkeit immer noch die Norm ist, schwer. Doch auch in diesem Kontext gab es in diesem Jahr Grund für Optimismus: Aus einer Studie im „British Journal of Sport Medicine“ geht hervor, dass sich der Zusammenhang von Testosteronwert und sportlicher Leistung nicht belegen lässt. Das würde bedeuten, dass Athletinnen mit erhöhtem natürlichen Testosteronwert, wie zum Beispiel Caster Semenya, zu Unrecht ausgeschlossen wurden und zukünftig womöglich an den Wettkämpfen teilnehmen können.
Angst vor der WM in Katar
Und schließlich machte Josh Cavallo im Oktober als weltweit einziger aktiver Fußball-Profi öffentlich schwul zu sein. „Ich bin ein Fußballer und ich bin schwul“, sagte Cavallo in einer Videobotschaft. In einem Statement auf Twitter schrieb er weiter „Es war ein langer Weg bis zu diesem Punkt, aber ich könnte mit meiner Entscheidung zum Coming Out nicht glücklicher sein.“ Gegenüber dem „Guardian“ äußerte Cavallo allerdings auch seine Angst, zur WM in Katar zu reisen, falls er nominiert werden sollte. „Ich habe gelesen, dass es in Katar die Todesstrafe für homosexuelle Menschen gibt. Das ist etwas, was mir große Angst macht und ich würde nicht nach Katar gehen wollen“, sagte er.
Das Thema Katar griff auch Tom Daley in seiner Weihnachtsbotschaft auf und erinnerte daran, dass Katar das zweitgefährlichste Land der Welt ist für queere Personen. „Warum erlauben wir Orten, die nicht sicher sind für alle Spieler und Fans, unser angesehenstes Sportevent auszurichten?“, fragte Daley. Er warf damit eine Frage auf, der sich die Sportwelt im kommenden Jahr mehr denn je stellen muss. Vor allem dann, wenn es auch zukünftig Gründe für Mut geben soll.