Unsere Bundesregierung sollte sich ein Vorbild an den Fußballerinnen nehmen
Unser Kolumnist Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. An dieser Stelle schreibt er jede Woche über Politik und Sprache, zurzeit in einer kleinen Serie über die Kunst des Gelingens.Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.
Zwei Mannschaften sehen wir zu, einer starken und einer anderen. Wir sehen die deutschen Fußballerinnen, die Ziele und eine Strategie formuliert haben und sich vier lange Wochen hindurch an all das halten. Sie respektieren die Trainerin und akzeptieren, dass nicht alle im Team gleich sind: Da sind Merle Frohms und Lena Sophie Oberdorf und Alexandra Popp, und da sind die Mitspielerinnen.
Sie alle werden erfahren haben, dass Leistungssport eine egoistische Angelegenheit ist: Jede im Team will für sich selbst etwas erreichen. Aber nur wenn alle verstehen, dass das gemeinsame Vorhaben größer ist beziehungsweise dass das gemeinsame Vorhaben die egoistischen Vorhaben möglich werden lässt, kann ein Team Bleibendes schaffen.
„Wenn wir zusammen stehen, ist nichts unmöglich. Wenn wir uneins sind, wird alles scheitern“, sagte Churchill. Wie aber geht das: zusammen stehen? Alastair Campbell schreibt in „Winners“, dass eine Mannschaft aus „Anführern, Kriegern und Begabten“ zusammengesetzt sein müsse, und wenn dann auch noch alle wüssten, welcher Weg zu welchem Ziel führe, beflügelten die Anführer und die Gruppe sich gegenseitig.
Führungskunst besteht darin, aus den besten Solistinnen ein perfektes Orchester zu formen. Barack Obama nahm Hillary Clinton in sein Team auf, und er hatte dies von Abraham Lincoln gelernt. „Ich zerstöre meine Feinde, indem ich sie zu meinen Freunden mache“, das ist eines von vielen schönen Lincoln-Zitate.
„Fit in or fuck off“ – wenn Trennungen unvermeidlich sind
Es geht bisweilen nicht ohne Trennungen, „FIFO“ heißt das in Großbritannien: „Fit in or fuck off.“ Von dem amerikanischen Manager Jack Welch, der General Electric lenkte, wird erzählt, dass er Jahr für Jahr die schwächsten zehn Prozent der Belegschaft entlassen habe.
Legendär ist auch die Geschichte des amerikanischen Präsidenten Harry Truman, der 1951 General Douglas MacArthur, einen Helden des Zweiten Weltkriegs, fallen ließ. Truman wünschte Deeskalation in Korea, MacArthur wollte Eskalation und zudem in China einmarschieren, durchaus unter Einsatz von Atombomben. „Ich habe ihn nicht gefeuert, weil er ein dummer Hurensohn war, obwohl er einer war, was für Generäle nicht illegal ist“, sagte Truman; nein, er müsse jeden feuern, der derart die Autorität des Präsidenten missachte. Einen zusätzlichen Ratschlag hatte Truman für Nachgeborene: „Wenn du spürst, dass du etwas tun musst, tu es sofort, denn je früher du es tust, desto besser für alle.“
Es gibt vier Phasen für jede leistungsstarke Mannschaft, so erklärt es der amerikanische Erziehungspsychologe Bruce Tuckman: „FSNP“, was für „forming, storming, norming, performing“ steht. Die Gruppe wird zunächst zusammengestellt, dann probiert sie sich aus, ehe alle an ihren Platz geführt werden und verstehen, was ebendort zu tun ist; dies geschieht erstens durch das Differenzieren von Aufgaben und zweitens durch die Integration aller ins Gefüge. Und endlich ist die Gruppe bereit, es gilt, und siehe da, es gelingt.
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Interessant, nicht wahr, dass ausgerechnet in der Politik wenig über Mannschaftsspiel nachgedacht wird. Zu laut, zu durchtrieben, zu unlogisch geht es dort zu; und natürlich schlägt das individuelle Ziel meist das gemeinsame.
Die Bundesregierung ist die andere Mannschaft, der wir zusehen, beziehungsweise sie wollte auch eine Mannschaft sein, fing an wie eine, freudvoll einander vertrauend. Wissen Sie noch? Jede und jeder im Team schien die eigene Rolle zu kennen, damals, bevor es losging, verdammt lang‘ her.