Spagat mit den Ohren im Haus der Kulturen der Welt
Wie eine Gitarre klingt? Klar, kennt man. Piano und Schlagzeug? Logo. Was aber, wenn auch der Raum, in dem wir sich befinden, mitmusiziert? „Wir gehen davon aus, dass wenn wir das Instrument kennen, wir auch den Klang kennen“, sagt Jan St. Werner, „dabei ist der Klang etwas, was freigesetzt wird und sich bewegt, auf Architektur trifft und sich dementsprechend verändert“.
Bekannt als eine Hälfte des Elektronikduos Mouse on Mars ist St. Werner nun für das Haus der Kulturen der Welt in die Kuratorenrolle geschlüpft. Beim viertägigen Festival „The Sound of Distance“, das am Donnerstag beginnt, verwandelt sich dieses in ein großes Instrument und Soundlabor. Für St. Werner geht es hierbei vor allem um die Frage: Was ist ein Klang, wenn wir ihn eben nicht mit dem Klangobjekt gleichsetzen?
Zum Abschluss gibt es einen Improvisationsjam auf der Dachterrasse
Der dynamische Dialog zwischen Raum und Klang steht hier im Mittelpunkt und dient dem Publikum als Testfeld der sonorischen Selbstverortung. Mithilfe von Performances und Soundinstallationen soll dieses für das bisher Überhörte sensibilisiert werden.
Statt einem statischen Musikerlebnis werden die Besucher:innen selbst zu Resonanzkörpern und sollen laut Jan St. Werner mitforschen und erleben wie „Klänge wie Tischtennisbälle von den Wänden zurückfliegen“ und auf sie prallen. Die Gelegenheit dazu bieten unter anderem Arbeiten von Klangkunstlegenden wie den Avantgarde-Komponist:innen Annea Lockwood, Alvin Lucier oder dem Sun O)))-Gitarristen Stephen O’Malley, der mit seinen Drone-Stücken regelmäßig die Schmerzgrenzen des Innenohrs auslotet.
Das Festival kulminiert am Sonntagabend in einem kostenfreien Improvisationsjam, bei dem verschiedene Musiker:innen aus dem Programm auf der Dachterrasse des HKWs musizieren. Die Lautsprecher sind dabei rund um das Haus platziert, so dass den Musiker:innen und Publikum die Musik von außen zurückgespielt wird. Durch das Einbeziehen der Umgebung wird diese auf einmal hörbar, werden Tiergarten, Spree und Reichstag zum erweiterten Resonanzraum des Festivals.
[21. bis 24.10. im und um das Haus der Kulturen der Welt]
Mit seinem dezentralen Ansatz bricht „The Sound of Distance“ mit den üblichen Darbietungsformen der Musik. Für St. Werner ist es letztlich egal, ob etwas nun als Konzert oder Installation, Musik oder bildende Kunst bezeichnet wird: „Vielleicht ist es einfach eine Erfahrung, die Möglichkeit, mit anderen etwas zu entdecken.“ Etwa bei den sogenannten Soundwalks, die an den vier Tagen des Festivals kostenlos stattfinden.
Bei diesen musikalischen Streifzügen geht es weniger darum die Geräuschkulisse eines spezifischen Ortes zu erkunden, sondern die eigenen Hörgewohnheiten zu erweitern. Bei der Performance „Sounding Reflections“ der Künstler:innen Katrinem und Sam Auinger bewegen sich die Besucher:innen in einem „sonischen Spiegelkabinett“, in dem einfache Klänge wie ein Händeklatschen ein facettenreiches Spiel des Wiederhalls in Bewegung setzen.
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Auch die Perkussionisten Tunde Alibaba und Dodo NKishi laden zu einem experimentellen Spaziergang unter dem Titel „Percuspection“ ein, bei dem die Grenzen des Klangradius und Hörerlebnisses ausgedehnt werden.
Beide Musiker entfernen sich mit ihren jeweiligen Gästegruppen vom HKW und einander, während sie ihre Schlaginstrumente und die Resonanz der Umgebung über portable Lautsprecher hören. Sie entfernen sich so weit voneinander, bis sie den Punkt erreichen, an dem sie sich nicht mehr hören können. Dabei trainieren die Künstler nicht nur ihre akustische Wahrnehmung und Verortung, sondern fordern das Publikum auf, genau hinzuhören, wie das Zusammenspiel der beiden mit der umliegenden Architektur und Natur in Verbindung tritt und von ihnen moduliert wird.
Die Herausforderung, witzelt Jan St. Werner, der die Performance mitentwickelt hat, sei es „mit den Ohren schielen zu lernen. Sie soweit auseinanderzudehnen wie es nur geht – bis zum schmerzhaften Spagat des Hörorgans“.
Von Distanz hat man in den letzten anderthalb Jahren zwar genug bekommen, doch beim Festival soll aus dem Abstand ein verbindendes Element werden. Der amerikanische Komponist David Grubbs etwa stellt sein musikalisches Experiment „Three Simultaneous Soloists“ vor, bei dem drei Musiker:innen im selben Raum, aber auf Distanz zueinander spielen und so zu „Klang-Enklaven“ werden. Erst das Publikum, das sich frei um sie herum bewegt, findet die Schnittstellen zwischen den Soli und verknüpft sie somit.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgen die Cellistinnen Anthea Caddy und Judith Hamann mit ihren „Long Throws“, bei denen zwei parabole Lautsprecher die Celli zu einem Metainstrument verschmelzen lassen, das als sonisches Hologramm der Musikerinnen den Raum füllt. Wie ein Laserstrahl lassen die zwei gegenübergestellten Lautsprecher Klänge aufeinandertreffen. Die Gäste umkreisen und durchqueren diese Linie und können durch ihre Positionierung andere Höreffekte erzielen.
Wie klingt das Innere einer Vase
„Klang ist nie von der körperlichen Erfahrung getrennt“, sagt Judith Hamann, es gehe auch darum, sich in neue Resonanzräume reinzufühlen, nicht nur reinzuhören. Für ihre Aufführung der Alvin-Lucier-Komposition „Music For Cello With One Or More Amplified Vases“ erzeugt sie mit ihrem Cello Resonanzen in aufgestellten Vasen, die mittels Mikrofonen ans Publikum weitergeleitet werden.
„Wir denken nicht darüber nach, wie das Innere einer Vase, einer Schüssel oder eines Glas klingt“, so Hamann, die mit ihrem Instrument unsichtbare Klangwelten freilegen will. „Die meisten Menschen glauben zu wissen, wie ein Cello klingt, aber was wenn es dazu dient, einen anderen Klangkörper zu aktivieren?“, fragt sie. „Dann nimmt es eine andere Dimensionalität an, es wird zu einem Ausgangspunkt für etwas Neues.“
Ob tief in die Vasen oder weit raus in den Tiergarten, „The Sound of Distance“ ist ein experimentierfreudiger Kartierungsversuch unserer akustischen Umwelt. Wie eine Gitarre danach klingt? Vielleicht doch nicht mehr so selbstverständlich.