„So konnte ich nicht aufhören“
In der vergangenen Woche hat Kevin-Prince Boateng seinen Vertrag bei Hertha BSC um ein Jahr verlängert. In dieser Woche ist er mit dem Berliner Fußball-Bundesligisten in Kienbaum im Trainingslager. Am Dienstag hat sich der 35-Jährige in einer Medienrunde geäußert: zu Trainer Sandro Schwarz, dem neuen Präsidenten Kay Bernstein und seinem Karriereende.
Herr Boateng, wie gefällt es Ihnen in Kienbaum?
Super (lacht). Nein, ich war nie ein Fan von Kienbaum, schon früher als junger Bursche nicht. Kienbaum heißt, dass man viel schwitzt, viel arbeitet. Aber das ist genau das, was wir machen müssen: Wir müssen arbeiten.
Es war Ihre eigene Entscheidung, noch eine Saison dranzuhängen.
Ich konnte so nicht aufhören. Das letzte Jahr war zu turbulent, zu viel Action, zu viele negative Schlagzeilen, zu viele negative Resultate. Und ich hab‘ Bock, noch zu spielen. Ich will noch ein bisschen zocken. Ich glaube, das sieht man auch im Training. Ob es dann Minuten werden in der Bundesliga oder nicht, darüber will ich gar nicht reden. Ich will das einfach noch mal mitnehmen.
Und nach der Saison?
Das habe ich zwar letztes Jahr auch schon gesagt, aber jetzt ist es ganz sicher meine letzte Saison als aktiver Profifußballer – selbst wenn wir uns für die Champions League qualifizieren sollten. Ich werde noch mal alles reinhauen für den Verein und für mich selber auch. Deswegen will ich jeden Tag genießen, egal was passiert.
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Sie haben davon gesprochen, dass Sie noch Hunger haben. Ist der Hunger durch das letzte Spiel der vergangenen Saison, das 2:0 gegen den HSV in Hamburg, noch einmal geweckt worden?
Ja, ich glaube nach dem Hamburg-Spiel haben alle – die Fans, der Verein, die Verantwortlichen und auch ich – etwas gespürt. Da ist noch Energie drin, da prickelt was. Dass ich so wichtig war in dem letzten Spiel, das war natürlich auch wichtig für mich. Der Verein hat in mich investiert, hat mir vertraut. Ich weiß ganz genau, was ich die ganze Saison über gemacht habe, wie ich geholfen habe. Aber was im Endeffekt zählt, ist auf dem Platz. Deshalb war das Spiel in Hamburg für beide Seiten sehr, sehr wichtig.
Was ist in diesem Spiel passiert?
Ich habe mich die gesamte Saison nicht mit dem Abstieg auseinandergesetzt. Aber an dem Tag vor dem Spiel habe ich nachgedacht: Wenn wir morgen nicht so oder so gewinnen, steigen wir ab. Das durfte natürlich nicht passieren. Das war so ein kleiner Wachrüttler für mich. Und die Mannschaft habe ich auch wachgerüttelt. Das ist das Positive, dass wir es in den 90 Minuten geschafft haben, die Hertha-Familie zu sein, die wir sein wollen. Es war ein Spiel, nach dem du sagst: In diese Situation werden wir nicht noch mal kommen. Und wenn doch, wissen wir wenigstens, was es braucht, um da so schnell wie möglich rauszukommen.
Was ist in der Relegation entstanden?
Das ist schwer zu erklären, wenn du die ganze Saison nach Zusammenhalt suchst und ihn erst im letzten Spiel findest. Wir haben es ja die ganze Zeit versucht. Manchmal war der Zusammenhalt da. Da hast du gedacht: Das ist es doch. Aber in der nächsten Woche war dann schon wieder nichts zu sehen von dieser Leidenschaft, zusammen zu kämpfen, der eine für den anderen. Deswegen ist es schwierig zu sagen, was wir aus diesem Spiel mitnehmen. Vielleicht einfach zu wissen, dass wir es können. Wenn wir alle an einem Strang ziehen, ist es möglich.
Wenn Sie auf Ihre lange Karriere zurückblicken: Welche Position nimmt das Relegationsspiel da ein, auch emotional?
Die Emotion kam erst einen Tag vor dem Spiel, aber dann wie ein Faustschlag. Da habe ich gedacht: Okay, jetzt geht es los. Wir waren schon totgesagt, keiner hat mehr an uns geglaubt. Dadurch, dass wir es trotzdem noch geschafft haben, ist dieses Spiel auf meiner emotionalen Skala schon ganz weit oben. Ich habe ja nicht von ungefähr gesagt: Das ist wie eine Meisterschaft. Und dann kommt natürlich noch hinzu, wie das alles passiert ist: Ich durfte die Aufstellung machen. Das macht es noch mal schöner.
Wie genau ist es eigentlich dazu gekommen?
Das war am Spieltag nach dem Frühstück oder nach dem Mittagessen. Da hab‘ ich mich mit Magath hingesetzt. Er hat mich gefragt, ob ich spielen möchte. „Klar möchte ich spielen. Ich werde auch spielen. Ich muss spielen.“ Da hat er gelacht und gemeint, er überlege noch, wo er mich spielen lasse, auf der Sechs oder auf der Zehn. „Trainer“, habe ich gesagt. „Ganz ehrlich. Wenn wir so und so und so spielen, gewinnen wir das Spiel.“
Wie hat Magath reagiert?
Er hat gefragt: „Meinst du das?“ Ja, habe ich geantwortet. Aber er sagte: „Belfodil und Jovetic und du, das sind doch alles Fußballer. Von denen geht keiner in die Tiefe.“ Ich sag: „Vertrauen Sie mir. Lassen Sie mich die Aufstellung machen – und wir gewinnen das Spiel.“ Da hat er gesagt: „Okay.“ – Wie jetzt? – „Okay. Mach die Aufstellung.“ Dann hab‘ ich die erste Elf zusammengerufen, und wir hatten ein Meeting. Ich stand da, habe mit dem Laserpointer rumgefuchtelt und gesagt: So und so spielen wir. Das war natürlich auch die Größe von Felix Magath. Vielleicht hat er verstanden: Okay, der Junge ist von hier. Der hat die Hertha-DNA, der wird was Gutes für die Mannschaft machen.
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Würde es Sie reizen, später selbst mal Trainer zu werden?
Mein Berater sagt immer, ich wäre der perfekte Trainer. Aber ich sehe mich da noch nicht so. Ich habe keine Geduld. Das ist mein größtes Problem. Wenn es für meine Mannschaft nicht laufen würde, hätte ich nach 20 Minuten schon drei Wechsel vorgenommen. Als Trainer musst du auch mal ruhig bleiben. Da muss ich noch ein bisschen wachsen, um Trainer zu werden.
Welche Lehren muss Hertha aus der vergangenen Saison ziehen?
Ich wünsche mir, dass wir alle zusammenarbeiten, um ein bisschen mehr Ruhe reinzubekommen und uns wirklich mal auf die wesentlichen Dinge fokussieren. Wir müssen das Jetzt leben. Wir haben einen neuen Trainer, der frischen Wind mitbringt, und einen neuen Präsidenten, der für mich auch frischen Wind mitbringt.
Hat sich Kay Bernstein, der neue Präsident, schon der Mannschaft vorgestellt?
Noch nicht. Ich glaube, er ist erst mal noch ein bisschen beschäftigt jetzt. Aber ich hab‘ ihn mal kennengelernt. Das ist ein ganz normaler, netter Typ. Er sieht mir auch nicht aus wie ein Ultra, aber er hat die Hertha-DNA, und wir müssen einfach darauf vertrauen, dass die Leute richtig gewählt haben.
Welchen Eindruck haben Sie von Sandro Schwarz, dem neuen Trainer? Er ist immerhin in seinem Urlaub extra nach Berlin geflogen, um sich mit Ihnen zu treffen.
So was ist mir nicht oft passiert. Aber für mich war es gut, ihn außerhalb des Platzes kennenzulernen. Es ist immer schöner, ein bisschen das Gefühl für einen Menschen zu bekommen. Unser Gespräch ging zweieinhalb Stunden. Nach zehn Minuten haben wir verstanden, dass wir beide zusammenarbeiten wollen und dass es zwischen uns sehr viel Energie gibt. Er war sehr positiv, sehr direkt, sehr offen. Das ist genau das, was ich mag. Ich bin genauso. Wir verstehen uns. Ich glaube, auch die Mannschaft hat ihn super aufgenommen. Und wir sind alle froh, dass er hier ist. Er bringt einen positiven, frischen Wind mit.
Vor einem Jahr haben Sie gesagt, dass die Mannschaft viel Talent hat, aber Talent alleine nicht reiche. Es brauche auch Leidenschaft und Wille. Wie ist es diesmal?
Das muss man erst mal abwarten. In der ersten Woche sind alle voll motiviert und geben Vollgas. Das ist das, was der Trainer einfordert. Da kann sich keiner verstecken. Das ist schon mal sicher. Weil der Trainer es komplett vorlebt. Das Wichtigste ist, dass das auch so bleibt. Ich weiß aber, dass der Trainer da kein Auge zudrücken wird.
Es gab in der vergangenen Saison Phasen, in denen Sie wenig gespielt und trotzdem – zumindest öffentlich – nicht gemurrt haben. Sind Sie im Alter schon ein bisschen geduldiger geworden?
Geduld hatte ich noch nie, die werde ich auch nie haben. Klar gab es Momente, in denen ich explodieren wollte, in denen ich sauer und nicht zufrieden war. Aber ich stelle die Mannschaft in den Vordergrund. Das habe ich von Anfang an gesagt. Und das habe ich auch gelebt. Ich wollte keine Unruhe machen. Denn wenn Prince Unruhe macht, ist das etwas anderes, als wenn ein anderer mal was sagt. Deswegen habe ich meinen Mund gehalten.
Welche Rolle wollen Sie in Ihrer letzten Saison spielen?
Die gleiche wie vorige Saison: helfen, da sein, der Papa von den jungen Burschen sein und dann hoffentlich auf dem Platz zeigen, was ich auch in Hamburg gezeigt habe und in ein paar Spielen davor. Ich fühle mich gut. Der Trainer versteht mich, ich verstehe den Trainer. Den Rest wird man sehen. Ich freu mich darauf. Ich genieße jeden Tag – auch wenn es hart wird.
In Hamburg haben Sie als Zehner gespielt. Ist das Ihre bevorzugte Position?
Darüber habe ich mit dem Trainer noch nicht gesprochen. Wir haben erst einmal darüber gesprochen, ob ich überhaupt weiterspiele. Aber die Zehn ist immer meine Lieblingsposition gewesen. Ich kann dagegen nichts tun. Ich liebe das, ich fühle mich da am freisten, am besten. Es ist auch komisch: Immer wenn ich da spiele, spiele ich gut. Aber der Trainer entscheidet, wo er mich braucht. Ich würde auch rechts hinten spielen. Das mache ich dann vielleicht nur 15 Minuten, weil es ein bisschen zu schnell hin und her geht.
Wie ist Ihr körperlicher Zustand?
Auf die Frage hab‘ ich gewartet (lacht). Ich fühl‘ mich unglaublich gut. Ich wiege jetzt 84 Kilogramm, das war zuletzt in meiner Zeit in Mailand so. Letztes Jahr hatte ich 88, 89. Das sagt schon viel aus. Natürlich sind wir in der Anfangsphase der Vorbereitung. Da kann ich nicht behaupten: Ich bin in Topform. Aber ich fühl mich besser als letztes Jahr zur gleichen Zeit.
Wie haben Sie das gemacht: fünf Kilogramm abzunehmen?
Hochzeitsstress. Das ist die beste Diät. Hochzeitsstress und Umzug. Ich hatte keinen Urlaub dieses Jahr. Ich glaube, das war’s.
Aufgezeichnet von Stefan Hermanns.