Seltsame Sendboten: Eliot Weinbergers Essays über Engel und Heilige
Michael ist ein geschäftiger Erzengel. Als Beschützer Israels und himmlischer Heerführer, Heiler der Kranken und unfehlbarer Seelenwäger verehren die Gläubigen diesen Grenzgänger zwischen den Sphären wie einen Heiligen. Kunstwerke und Kathedralen tragen zum Dank seinen ehrbaren Namen. Doch wer auf Erden kennt schon die Kollegen Asmodai, „der Mathematik lehrt und Menschen unsichtbar zu machen vermag“, oder Azariel, „der Dummheit zu heilen vermag und der den Fischern beim Fangen großer Fische hilft“?
Das menschliche Wissen über Engel ist begrenzt, nicht viel gilt selbst den Theologen als gesichert, mehr noch wird spekuliert: Existieren 300 oder 600 Millionen von ihnen? Sind sie aus Luft und Feuer oder Eis gemacht? Wie können wir sie sicher von den Dämonen unterscheiden?
Der US-amerikanische Essayist Eliot Weinberger hat für sein neuestes Buch allerhand Skurriles über Gottes geflügelte Dienerschar zusammengetragen, aus verschiedenen Jahrtausenden, allerdings mit deutlichem Fokus auf die römisch-katholische Tradition. Diese Schlagseite rechtfertigt sich ab der Hälfte des Bands, sobald das Hauptaugenmerk auf die Heiligen, also Märtyrer und beispielhafte Menschen übergeht.
Wort des Schöpfers
Was „Engel & Heilige“, so der naheliegende Titel von Weinbergers wie immer ideenfunkelnden Betrachtungen, eint, ist ihre Mittlerrolle. Sie beide sind Sendboten zwischen Himmel und Erde, verkünden das Wort des Schöpfers und tragen die Bitten seiner Kinder zurück zum Herrn.
Während die Engel etwas aus unserer heutigen Zeit gefallen wirken, lesen sich die Notate aus den Viten der Heiligen, die Weinberger wie ein großes Wimmelbild präsentiert, verwunderlich aktuell. Das Leben der Magdalena vom Kreuz beispielsweise mutet wie ein Mikroroman an, ein Drama zwischen Offenbarung und Versuchung, das vor (Selbstmit-)Leid nur so strotzt.
Die Verklärung der jungen Thérèse von Lisieux hingegen lässt auf wenigen Seiten erahnen, welch niedere Motive die Geschicke der kirchlichen Heiligenindustrie teils mitbestimmen. Während es über Vedast, den ersten Bischoff von Arras, bloß heißt: „Er ließ eine Gans auferstehen.“ Die hintersinnigen Weisheiten des Himmelsleitererfinders Johannes Klimakos wiederum gehören in jeden Tageskalender, schließlich wusste der Asket bereits im 7. Jahrhundert: „Ein wütender Mensch ist ein freiwilliger Epileptiker.“
Seit vielen Jahren schon ist Eliot Weinberger einer der geschicktesten Arrangeure vermeintlich abseitiger Stoffe. Kaum jemand beherrscht es wie er, entlegene Sujets schmackhaft zu machen und für sich sprechen zu lassen. Scholastische Allwissenheitsansprüche unterläuft er gekonnt; Weinberger kommentiert wenig, und dann subtil, gönnt allen seinen Quellen die gleiche Autorität.
In Bezug auf die Engel wirkt es zwar stellenweise, als würde er dem Material nicht ganz Herr werden, als wäre hier ein Zettelkasten übergequollen. Die Kapitel zu den Heiligen jedoch sind uneingeschränkt große Klasse. Und überhaupt, wie würde besagter Johannes Klimakos ganz richtig raunen: „Eine Königskrone besteht nicht aus einem Stein allein.“