„Rückkehr nach Korsika“ im Kino: Sommeridylle mit gebrochenem Herzen

15 Jahre liegen zwischen der überstürzten Abreise von Korsika und der widerwilligen Rückkehr von Khedidja und ihren zwei Teenager-Töchtern Jessica und Farah. Die Rivalität der Mädchen macht der Mutter zu schaffen: Die 18-jährige Jessica ist eine Musterschülerin und studiert Politikwissenschaften, die etwas jüngere Farah steckt noch mitten in der Phase des Aufbegehrens.

Ihren Sommer würden beide lieber woanders als auf Korsika verbringen, wo sich Khedidja als Haushälterin einer reichen Pariser Familie um die Kinder kümmern soll. An den Ort ihrer Geburt, wo der Vater bei einem Autounfall starb, haben Jessica und Farah keine Erinnerung mehr; sie spüren aber schnell, dass zwei schwarze Mädchen auf der Insel automatisch Außenseiterinnen sind. Eine Erfahrung, die Khedidja schon in jungen Jahren gemacht hat.

Familiengeschichte mit Geheimnissen

Catherine Corsini hat mit „Rückkehr nach Korsika“ nur auf den ersten Blick einen Sommerfilm in der Tradition Eric Rohmers gedreht. Mehr als den Strand hat der kleine Ort auf der Insel auch nicht zu bieten. Jessica, die sich lieber mit ihren Büchern zurückziehen würde, folgt ihrer jüngeren Schwester widerwillig, zumal es am Strand ziemlich bald Ärger gibt.

Farah legt sich mit dem Jungen Orso an, der ein paar Kinder rassistisch beleidigt. Das Eskalationspotenzial ist hoch, auch mit der Mutter, die nicht so recht herausrücken möchte mit der Wahrheit über den Vater – und dessen korsische Familie.

So ziehen sich die Konflikte durch „Rückkehr nach Korsika“, ohne dass die französische Regisseurin eines der vielen Themen, die ihre Figurenkonstellationen anreißen, zunächst weiter verfolgen würde.

Der Film lässt sich voll auf die beiden Debütantinnen Esther Gohourou, die Farah spielt, und Suzy Bemba (Jessica) ein – mit der volatilen Ziellosigkeit eines Sommerabenteuers, das zunehmend überschattet wird. Weil am Strand Ärger droht, steigen die beiden Mädchen über die Mauer des Anwesens, um im Pool der Familie zu baden, um deren Kinder sich ihre Mutter kümmert.

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Hier erwischt sie die älteste Tochter Gaia (Lomane de Dietrich), offensichtlich amüsiert. Sie ist in jeder Hinsicht das Gegenteil von Jessica, zeigt keinerlei Ambitionen und kann sich dies aufgrund ihrer sozialen Privilegien auch leisten. Dass sich die beiden Mädchen dennoch näherkommen, scheint anfangs nicht mehr als ein Sommerflirt zu sein.

Erste Liebe und Alltagsrassismus

Doch ihre Gefühle treiben einen Keil zwischen die Geschwister. Farah bändelt dafür, vielleicht aus Trotz, mit Orso (Harold Orsoni) an, der die Touristen mit Gras versorgt. Gaia ist es aber auch, die Jessica dazu motiviert, ihrer Familiengeschichte auf den Grund zu gehen, die Khedidja ihnen verheimlicht.

Ihre Recherchen in dem kleinen Ferienort, im Haus von Jessicas Kindheit, sorgen für weitere familiäre Zerwürfnisse. Der Urlaub in der alten Heimat droht die Bande zwischen Mutter und Töchtern weiter zu belasten. Über der Sommeridylle mit Strandpartys und der ersten Liebe ziehen sich die Wolken zusammen.

Khedidja (Aïssatou Diallo Sagna) wird dabei immer mehr zu Projektionsfläche für die Erfahrungen ihrer Töchter. Es macht ihr nichts aus, dass der Familienvater (Denis Podalydès) ihren Namen falsch ausspricht; Farah hat hingegen schon sehr genau verstanden, dass sie es mit ihrem „unfranzösischen“ Namen im Leben schwerer haben wird als Jessica.

Die Mutter hat den alltäglichen Rassismus bereits verinnerlicht, die Töchter müssen noch versuchen, in dieser Erfahrung ihre eigene Identität zu finden. Die Tragik von Khedidja besteht darin, dass sie Farah und Jessica durch beharrliches Schweigen vor dem zu bewahren versucht, was sie selbst erlebt hat.

Khedidja (Aïssatou Diallo Sagna) und ihre Töchter Farah (Esther Gohourou, mitte) und Jessica (Suzy Bemba).
Khedidja (Aïssatou Diallo Sagna) und ihre Töchter Farah (Esther Gohourou, mitte) und Jessica (Suzy Bemba).

© Grandfilm

Die Sensibilität, die Corsini ihren Figuren entgegenbringt, steht allerdings auch im Widerspruch zu den Berichten, die im Zuge der Nominierung in den Cannes-Wettbewerb 2023 in Branchenmagazinen zu lesen waren.

Da war von einem herrischen Ton am Set die Rede – sowie einer Sexszene, in der die minderjährige Esther Gohourou masturbiert. Die Szene wurde am Ende aus dem Film geschnitten; aufgrund, so heißt es, bürokratischer Versäumnisse, die sensiblen Dreharbeiten mit einer Minderjährigen ordnungsgemäß zu melden, musste die Produktiosnfirma einen Teil der staatlichen Filmförderung zurückzahlen.

Man könnte nun zu Recht sagen, dass die französische Filmbranche sich gerade mit weitaus schwerwiegenderen Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs konfrontiert sieht. Aber immer wieder war in den vergangenen Wochen auch der Selbstvorwurf zu lesen, man hätte doch viel früher genauer hinsehen müssen. Gohourou hat ihre Regisseurin im Rahmen der Cannes-Premiere in Schutz genommen, danch war der Eklat erst mal erledigt. Aber die französische Faszination mit den sexuellen Avancen junger Frauen scheint nicht allein das Problem männlicher Regisseure zu sein.

Im Fall von Corsini, die sich mit gesellschafskritischen Filmen wie zuletzt „In den besten Händen“, einen Namen gemacht hat, ist dieser Mangel an Bewusstsein besonders frappierend. Es wirft auch einen Schatten auf ihren Film, der ja genau von Themen wie weißen Privilegien und sozialen Gefällen handelt. Gaia und ihre Eltern sind sich dessen nicht bewusst. Die Regisseurin, sollte nur ein Teil der Berichte vom Set stimmen, anscheinend auch nicht. So hinterlässt die flirrende Leichtigkeit von „Rückkehr nach Korsika“ einen bitteren Beigeschmack.