René Marans Roman „Ein Mensch wie jeder andere“: Anleitung zum Unglücklichsein

René Maran gelang 1921 eine Sensation. Als erster schwarzer Schriftsteller gewann er damals mit 33 Jahren den Prix Goncourt, den wichtigsten Literaturpreis Frankreichs. Damit wurde Maran quasi über Nacht berühmt. Viel Glück aber brachte ihm dieser Sensationserfolg nicht, weil sein Gewinnerroman „Batouala“ eine spöttische Abrechnung mit dem Kolonialismus war. „Batouala“ wurde prompt wenig später in den französischen Kolonien verboten und Maran verlor seinen Posten als Kolonialbeamter.  

Die Verbitterung darüber merkt man dem Autor in seinem Nachfolgewerk „Ein Mensch wie jeder andere“ aus dem Jahr 1947 nun immer noch an, der erst jetzt erstmals auf Deutsch erscheint. Dieses ist nämlich, spürbar autobiografisch inspiriert, die Klageschrift eines schwer gekränkten schwarzen Erzählers namens Jean Veneuse.

Wie sein Schöpfer stammt auch er aus Afrika, kam aber schon als Kind nach Bordeaux, wo er zum stolzen „Franzosen“ heranwuchs. Und eigentlich ist Veneuse bestens sozial integriert: Hochgebildet, beliebt und als Literat geachtet. Wäre da nicht der vermeintliche Makel seiner Hautfarbe, wie er selbst ständig betont.

Schwarzer Selbsthass

„Inzwischen weiß ich, weder Bildung noch Klugheit kommen gegen Rassenunterschiede an. Ich weiß, dass die meisten Vorgesetzten in mir immer nur einen Neger sehen wollen, nichts als einen dreckigen Neger“, redet sich Marans Held immer wieder erschreckend selbsthasserisch mit schlimmstem Rassistenvokabular ein.
Freiwillig hat er sich nun zum Kolonialdienst in Afrika gemeldet, weil er hofft, dadurch seinem Liebeskummer entfliehen zu können. Denn schon länger ist der schwarze Veneuse unglücklich in die weiße Andrée Marielle verliebt, die Tochter eines Dichters aus Paris. Auch sie ist ihm durchaus zugetan.

Von Afrika aus schreibt der Kolonialbeamte der armen Andrée ständig neue Abschiedsbriefe, in denen er sich in geradezu Kleist’scher Manier pathetisch zum Opferhelden stilisiert, der angeblich nur ihr zuliebe aufs Eheglück verzichten würde. „Ich bin glücklich über die Melancholie, die sie in mir wecken“, behauptet Veneuse verquast. „Ich bin glücklich zu lieben, wen ich nicht lieben darf.“ Noch toxisch-verwirrender werden seine Zeilen dadurch, dass er zugleich beteuert, „nur eine (weiße) Europäerin heiraten“ zu können. „Meine besten Freunde (sind) Weiße. Frankreich ist meine Religion.“

In der französischen Kolonialgesellschaft aber sieht der Verliebte für eine solche Verbindung keine Chance. „Es ist nicht möglich“, beschwört er Andrée regelmäßig in seinen Briefen. „Uns trennen unsere Rassen. Das ist eine Tatsache. Und weil ich sie liebe, zwingt sie mich, das Geschenk ihrer Hingabe zurückzuweisen. Ich lehne ihr Angebot ab, weil ich Sie liebe, verstehen Sie?“

Dieser auf Dauer doch recht enervierende Vergeblichkeits-Sound durchzieht Marans Bericht viele Seiten lang. Und bei so viel Defätismus des Liebenden hilft es leider auch lange nichts, dass die angeschwärmte Andrée erstaunlich standhaft an ihrem Verehrer festhält.

Auch sonst ermuntern weiße Freunde den schwarzen Veneuse gleich mehrfach dazu, die Hoffnung nicht vorschnell aufzugeben. „Glaub mir, die Liebe reißt alle Schranken ein“, ruft ihm vor allem sein Jugendfreund Pierre immer wieder tröstlich zu. Allein – alle diese Ermutigungen verhallen bei Marans Neo-Romantiker auffällig ungehört.

Offensichtlich hat dieser doch etwas allzu begeistert die europäischen Gefühlsdramen des 19. Jahrhunderts gelesen, etwa von Stendahl, den Veneuse öfter zitiert. Demgemäß unternimmt er erst gar nicht den Versuch, um seine „unmögliche“ Liebe zu kämpfen, sondern tritt lieber gleich den Rückzug an, um danach ausgiebig im Schmerz eines vermeintlich hehren Verzichts zu schwelgen.

In der Manier eines Kleist

Seine Klage über Diskriminierung wirkt von daher schon bald eher vorgeschoben. De facto nämlich lehnt niemand Veneuse wegen seiner Hautfarbe als Heiratskandidat ab: Nicht die Geliebte, nicht die Freunde und auch nicht Andrées Eltern. Stattdessen ist es, bitter ironisch, eigentlich nur er selbst, der die ganze Zeit unablässig gegen diese „Mischehe“ plädiert. Der lauteste Rassist, so könnte man sagen, steckt in seinem Fall tragischerweise im eigenen Kopf.   

Heutige Interpreten feiern Marans lange vergessenen Roman aus diesem Grund bereits als das erhellende Psychogramm einer gequälten schwarzen Seele, das „die durch rassistische Gewalt hervorgerufene Zerrissenheit“ vieler Rassismus-Opfer aufzeigen würde, wie der senegalesische Autor Mohamed Mbougar Sarr im Nachwort der deutschen Ausgabe schreibt.

Das ist nicht falsch. Dennoch ist diese wiederentdeckte, von Maran selbst als „Meisterwerk“ bezeichnete Kummerbeichte unterm Strich eine ziemlich problematische Lektüre. Denn mal abgesehen davon, dass deren larmoyanter Chronist viel zu ausufernd im eigenen Liebesschmerz versinkt: Es fehlt ihr auch eklatant an kritischer Reflexion.

So bleibt hier nicht nur der toxische Selbsthass des Protagonisten, sondern auch dessen Frauenverachtung viel zu unhinterfragt. Der patriarchal geprägte Veneuse ist nämlich richtiger Obermacho. Während er die „reine“ Andrée quasi zu seiner heiligen Jungfrau verklärt, behandelt er andere Frauen auffallend respektlos. Ohne Skrupel beginnt er da etwa während der Schiffspassage eine Affäre mit einer weißen Französin, obwohl er weiß, wie labil-haltlos diese Frau in ihn verliebt ist.

Als er sie wenig später kalt abserviert, stürzt diese prompt in tiefe Verzweiflung. Gewissensbisse aber hat Marans Herzensbrecher deswegen nicht. Er rechtfertigt sein Verhalten damit, dass es sich ja nur um eine „liederliche Gespielin“ handeln würde, deren Avancen er als unterprivilegierter Schwarzer angeblich gar nicht ablehnen konnte.

Solche bestürzend misogynen Aussagen kommen öfter vor und sind eigentlich nicht zu überlesen. Merkwürdigerweise aber blenden Interpreten wie Sarr sie bislang komplett aus. Dabei ist es für eine redliche Aufarbeitung der (literarischen) Kolonialgeschichte doch eigentlich unverzichtbar, auch das Fehlverhalten schwarzer Opferfiguren klar zu benennen. Auch wenn das dann nicht mehr so gut in ein zweigeteiltes Täter-Opfer-Schema passt.