Regisseur Levan Akin über seinen Film „Crossing“: „Positive Repräsentation macht den Unterschied“
Levan Akin, zu Beginn von „Crossing – Auf der Suchen nach Tekla“ teilen Sie dem Publikum auf einer Texttafel mit, dass die beiden Hauptsprachen des Films – Georgisch und Türkisch – genderlose Sprachen sind. Warum ist Ihnen diese Vorabinformation wichtig?
Weil das in der Übersetzung ein bisschen verloren geht. Es war deshalb schwierig, die Untertitel zu machen, wofür wir einen wenig Kontext geben wollten. So spricht die Protagonistin Lia, die in Istanbul nach ihrer trans Nichte Tekla sucht, über die nicht wirklich als „sie“, sondern sagt anfangs eher etwas wie „es“. Das ändert sich später, als sie mehr Verständnis für trans Personen entwickelt.
Die pensionierte, ledige und kinderlose Lehrerin Lia reist aus dem georgischen Batumi nach Istanbul, um Tekla zu finden. Sie sind in Schweden geboren und leben dort, was ist Ihre Verbindung zu diesen Orten?
Meine Eltern sind georgisch, wurden aber in der Türkei geboren. Es gibt eine große georgische Diaspora am Schwarzen Meer. Dort lebten meine Großeltern, in Sinop. Im Sommer flog meine Familie immer nach Istanbul, um Verwandte zu besuchen, dann nahmen wir den Bus nach Sinop und schließlich fuhren wir nach Batumi, auch nach Tiflis.
Ich habe diese Reise also selber sehr oft gemacht. Dieser Film ist mein Liebesbrief an Istanbul, so wie „Als wir tanzten“ mein Liebesbrief an Georgien war. Vielleicht bin ich jetzt fertig mit der Region. Jedenfalls habe ich mein Ziel erreicht, queere Geschichten von dort zu erzählen.
Wie war es in Istanbul zu drehen, wo „Crossing“ größtenteils spielt?
Es hab Spaß gemacht, aber es war unglaublich schwierig. Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich es mir vielleicht zweimal überlegt. Es ist kompliziert, Genehmigungen und Transport zu organisieren. Alles ändert sich ständig, manchmal mussten wir in der letzten Minute den Drehort ändern. Doch der Aufwand lohnt sich, und es war mir wie schon bei „Als wir tanzten“ wichtig, dass Menschen aus der Community vor und hinter der Kamera zum Einsatz kommen. Dadurch fühlt es sich real an.
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Sowohl Georgien als auch die Türkei sind relativ queerfeindliche Länder. Doch von Batumi aus gesehen, erscheint Istanbul wahrscheinlich etwas freier. Ist das der Grund, warum sich Tekla für die Stadt entschieden hat?
Generell gehen viele georgische Mädchen und Frauen von Georgien nach Istanbul, um zu arbeiten. Nicht nur trans Frauen und nicht nur, um Sexarbeit zu leisten, sondern auch, um etwa als Nanny zu arbeiten. Freier ist die Stadt nur insofern, als sie sehr groß ist und Tekla den Kontakt zu bestimmten Leuten vermeiden kann. Marginalisiert ist die trans Community auch dort, wobei sie sich kleine Enklaven erhalten hat.
Der Titel „Crossing“ hat mehrere Ebenen, denn im Film werden Länder- und Gendergrenzen überquert, aber er bezieht sich auch auf einen Prozess, den die Protagonistin Lia durchläuft. Sie ändert komplett ihre Meinung in Bezug auf trans Personen. Wie realistisch ist das, wenn man ihr Alter und ihr soziales Umfeld betrachtet?
Gute Frage. Vielleicht kann ich sie so beantworten: Mzia Arabuli, die Lia spielt und in Georgien eine bekannte Theaterschauspielerin ist, hatte vorher kaum Kontakt zu trans Personen. Beim Dreh hatten wir eine trans Frau in der Kostümabteilung und es gab einen türkischen trans Mann beim Casting.
Am Ende der Dreharbeiten hielt Mzia eine wunderschöne Rede, in der sie unter anderem sagte, dass sie noch nie so farbenfrohe Menschen getroffen habe und es eine fantastische Erfahrung gewesen sei. Es ist nur anekdotisch, aber bei „Als wir tanzten“ gab es ebenfalls positive Reaktionen, gerade von älteren Zuschauer*innen.
Ihr Film über einen jungen schwulen Tänzer hat in Georgien viel Wirbel und Widerstand ausgelöst.
Ich glaube, das ganze Land hat den Film inzwischen gesehen. Und es hat mich überrascht, wie viele Menschen er verändert hat. Es ist die positive Repräsentation, die den Unterschied macht. Unsere Community in ihrer Vielfalt zu zeigen, dass wir die Söhne und Töchter sind, dass wir Familien haben.
Deshalb beginnen beide Filme in Familien und weiten sich dann. So trifft Lia erst den jungen Georgier Achi und lernt in Istanbul die Anwältin Evrim kennen, die trans ist. Ich will zeigen, dass wir alle einen gemeinsamen Raum teilen und alle von Solidarität und liebevollen Gesten profitieren könnten.
Wie haben Sie die Figur Evrim entwickelt?
Sie ist aus meinen Recherchen hervorgegangen. Ich habe in Istanbul aktivistische Anwält*innen getroffen, die für eine gemeinnützige Organisation arbeiten. Außerdem habe ich viele Interviews geführt und Deniz Dumanlı, die in ihrer ersten Leinwandrolle Evrim spielt, hat viel beigetragen. Die Szene, in der sie ins Krankenhaus geht, um die Bestätigung ihrer Geschlechtsangleichung zu bekommen, ist so ähnlich tatsächlich passiert. Völlig absurd und erniedrigend: Ein Haufen Männer beurteilt, ob sie weiblich genug ist, um einen Personalausweis zu bekommen.
Das Schöne an der Szene ist jedoch, dass Evrim gut gelaunt aus dem Raum geht und dem hässlichen Arzt noch ein Kompliment für seine furchtbare Frisur macht.
Ja, sie gewinnt am Ende – und sie kann ihre Freude nicht verbergen. Gleichzeitig ist das Ganze natürlich herabwürdigend. Und das wollte ich vor allem vermitteln, was vielleicht ein bisschen pädagogisch ist, aber ich mag das.
Es ist stets klar, dass Evrim bei aller Diskriminierung, die sie erlebt, keinesfalls ein Opfer ist.
Das war eine bewusste Entscheidung ganz zu Beginn: Ich will sie als resilient und stark zeigen, denn ich habe resiliente Menschen in Istanbul getroffen. Auch hier geht es darum, zu zeigen, dass sie existieren, dass es solche Erfahrungen gibt – und damit vielleicht eine junge Person in der Türkei zu ermutigen.
Dass sie einen netten Flirt mit einem zunächst etwas zwielichtig wirkenden Taxifahrer hat, ist etwas, dass man sonst nicht in Filmen sieht. Die Situation wirkt erst problematisch – ist es dann aber nicht.
Statt des bekannten Bildes der bedrohten trans Frau zeigen sie eine trans Frau, die etwas Schönes erlebt.
Genau. Natürlich gibt es die trans Frau in Gefahr – und man sieht sie ja auch, etwa bei den Szenen mit den Sexarbeiterinnen. Doch es gibt eben auch Evrim. Ich hoffe, dass es sich empowernd anfühlt, sie zu sehen. Die Organisation, bei der sie im Film arbeitet, existiert übrigens wirklich.
Heute gibt es eine große Sensibilität dafür, wer welche Geschichten erzählt. Sie selber sind cis und haben in „Crossing“ eine starke trans Perspektive. Hatten Sie da Bedenken?
Ich habe mir darüber viele Gedanken gemacht und deshalb ist der Film in einer bestimmten Weise erzählt, nämlich aus der Sicht von Außenseiter*innen. Lia, Achi, Evrim, zwei Straßenkinder – sie alle sind nicht Teil der Norm und auf die eine oder andere Art Opfer des Patriarchats. Doch sie finden sich, bilden ihre kleine Gemeinschaft, in der sie sich gegenseitig helfen.