Art Basel: Picasso und der Mann aus Polyester
Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realität, hat Horror-Experte Alfred Hitchcock gesagt. Zu den Realitäten dieser Welt gehört seit 1970 die Art Basel, die jetzt Art Basel in Basel heißt, weil es sie inzwischen auch in drei weiteren Städten gibt, die alle nicht Basel sind. Aber allein die Art Basel in Basel, wo alles angefangen hat, ist oder soll jedenfalls sein: „The single most important annual event in the art market“, wie Art Basel-Chef Noah Horowitz gleich zu Beginn seiner Pressekonferenz versicherte, sich selbst und den Anwesenden.
Unter denen befand sich auch Maike Cruse, die Horowitz jüngst dem Berliner Gallery Weekend abgeworben hat, die ihren neuen Job als Direktorin der Art Basel in Basel aber erst im Juli antreten wird. Sie war also da, wieder da, wo sie bereits von 2008 bis 2011 die Kommunikation besorgt hatte („I never really left the family!“). Mit der Realität der Art Basel 2023 (284 Galerien aus 36 Ländern) hat sie noch nichts zu tun. Mit dem brennenden Schiff (Jam Proximus Ardet, la dernière vidéo, 2021) des algerischen Künstlers Adel Abdessemed etwa, dem Horror, mit dem die Art Basel in diesem Jahr gewissermaßen aufmacht. Denn die „Unlimited“-Abteilung für die buchstäblich große Kunst in Halle 1 hat für die Kunst-VIPs bereits am Montag die Tore geöffnet – während die klassischen Messekojen in Halle 2 erst einen Tag später zugänglich waren.
Die Art Basel ist noch größer geworden
Die Art Basel, ob in Basel oder sonstwo, ist eine hierarchische Veranstaltung. Karten kaufen kann man erst ab Donnerstag, bis dahin gibt es Einlass nur mit VIP-Karten. Den anderen bleibt in den Tagen zuvor Zeit für die Satellitenmessen. Deren wichtigste, die Liste (88 Galerien aus 35 Ländern), ist junger Kunst in jungen Galerien vorbehalten. Dass auch sie im Zeichen der Pandemie inzwischen in der Messehalle 1 untergekommen ist, mag auf eine Solidaritätsgeste des früheren Art Basel-Chefs Marc Spiegler zurückgehen. Es hat aber auch zu tun mit der völlig überdimensionierten Messeerweiterung.
Und so sehr man dem früheren Zuhause der Liste in der charmanten Warteck-Brauerei nachtrauern mag: Die kreisförmige Ausstellungsarchitektur der Belgier vom OFFICE Kersten Geers David van Severen ist genial gelungen und lässt die rechtwinkligen Grundrisse der Art Basel-Messekojen banal erscheinen. Zum ersten Mal bei der Liste dabei ist die Berliner Galerie Schiefe Zähne, deren Hervorgehen aus einem querfinanzierten Projektraum so exemplarisch ist für das kommerzferne Selbstverständnis der Liste wie die gehängten Fotoarbeiten (Surplus and Care, 1800 Euro) der in Berlin lebenden Waliserin Angharad Williams. Sie zeigen ein mit Geldscheinen und -münzen spielendes Baby, das Kind von Freunden, das die Künstlerin gehütet hat, als zur Realität ihrer Künstlerexistenz noch gehörte, diese mit Babysitten querzufinanzieren.
Das brennende Schiff steuert auf einen zu
Der ganz normale, der alltägliche Horror, existentiell, ja – aber nicht so existentiell wie der Horror auf Adel Abdessemeds brennendem Schiff. Auf einer riesigen Videoprojektion fährt es frontal auf den Besucher zu, auf der Brücke der Künstler höchstselbst, von dem Feuer hinter ihm zu keinerlei Reaktion veranlasst. Die Bild von den kenternden Booten der über das Mittelmeer Flüchtenden erscheinen sogleich vor dem inneren Auge. Der Titel des Werks referiert auf Vergils „Aeneis“, den Trojanischen Krieg mithin, womit die Allegorie auch noch auf den Ukraine-Krieg passt. Soll doch niemand behaupten, die Art Basel sei unpolitisch. Obwohl sie natürlich genau das ist – keine Documenta und keine Biennale, sondern eben eine Messe und ergo eine Verkaufsveranstaltung.
So platzieren die Großgaleristen in den Kojen der Halle 1, was sie im Sortiment haben. Zum Beispiel der Platzhirsch Gagosian: präsentiert eine typische Skulptur von Jeff Koons aus (vermeintlichen) Aufblastieren und Monobloc-Stapelstühlen gleich neben einem Picasso. Ach, Picasso – da ist der Auftritt der noblen Fondation Beyeler schon origineller, die eines ihrer beiden Picasso-Gemälde in der gerade geöffneten Transportbox belassen hat. Die Zeit war offenbar zu knapp, daneben steht noch der mit den Wänden auch nicht fertig gewordene Maler Anstreicher in der Ecke: eine der lebensgroßen Figuren aus Glasfaser und Polyesterharz (Painter, 1977) von Duane Hanson. In ihrem Museumsbau in Riehen zeigt die Fondation Beyeler gerade Basquiat. Kein Wunder, dass er auch auf der Messe zu finden ist, etwa bei Van de Weghe und Acquavella (wo auch ein Bild von Rothko für 60 Millionen Dollar im Angebot ist).
Neu auf der Art Basel (in Basel) ist die Sektion „Kabinett“: kuratierte Miniausstellungen auf einem kleinen Teil der kostspieligen Kojen. Mehdi Chouakri (aus Berlin) hat die Vorgaben einerseits besonders wörtlich genommen und erlaubt sich andererseits einen Seitenhieb in Richtung des „Unlimited“-Größenwahns. Für seine „Giant Size“ betitelte Schau haben die Künstler der Galerie extra kleine Versionen ihrer Werke geschaffen – selbst der sonst schon nicht eben großformatig arbeitende Bernd Ribbeck hat noch einmal deutlich downgesized (Untitled, 2023, 3.800 Euro).
Eine stacheldrahtbewehrte Mauer, ein Plattenbau, eine Feuersbrunst, schon wieder, Männer im Brustpanzer, einer mit einem Schmiedehammer in der Hand vor einem Amboss stehend, darauf ein mit Malpinseln gespickter Tierschädel … Dieser Neo Rauch ist mit 3 x 4 Metern nicht nur besonders groß, er ist auch bemerkenswert apokalyptisch. Ob er schon verkauft sei, die Frage wird am ersten Messetag wohl erlaubt sein. „Das kommt ganz darauf an, in welcher Realität du lebst“, gibt einem der Eigen+Art-Galerist Judy Lybke (aus Leipzig und Berlin) in seiner unverblümten Art zur Antwort. Soll heißen: Er bestimmt, welcher der Interessenten das Bild aus dem Jahr 2006 bekommt, von dem zu trennen ein 96-jähriger amerikanischer Sammler sich entschlossen hat, und das Lybke für ein Hauptwerk Rauchs hält: „Selbst vor 200 Jahren hätten die Leute dieses Bild lesen können!“
Und was ist mit dem Klima?
Die Zeichen stehen heute wieder auf Apokalypse, Horror. Auch die einzige Frage nach der Pressekonferenz hatte mit den unterschiedlichen Realitäten zu tun, in denen verschiedene Menschen sich bewegen: wie die Art Basel, diese ganze Veranstaltung, überhaupt zu rechtfertigen sei, jetzt, da die eigentliche Frage doch die sei, wie der Klimawandel noch gestoppt werden könne. Der geschmeidige Amerikaner Horowitz war um eine Antwort nicht verlegen, erzählte rasch irgendetwas von der Senkung der Kohlenstoffemissionen um 50 Prozent, bis 2030. Dann gab es Champagner.