Nach dem Rücktritt der gesamten Documenta-Findungskommission: Totaler Neuanfang nötig

Nun ist auch die gesamte Findungskommission für die Documenta 16 zurückgetreten. Alles zurück auf Los, nochmal. Nervös, sehr nervös, wirkt das kulturpolitische Signal aus Kassel. Nach Skandalen mit antisemitischer Bildsprache und Unterstützung der Israel-Boykottbewegung BDS auf der documenta 15 war für die documenta von 2027 ein kompletter Neuanfang versprochen worden. Der ist entgleist.

Ein Inder verließ die Kommission, als eine BDS-Unterschrift von ihm ans Licht kam, eine Israelin warf hin, nachdem sie vergebens um zeitlichen Aufschub gebeten hatte. Zu allem Überfluss begrüßten Indonesier aus dem vorigen Kuratorenkollektiv das Massaker der Hamas vom 7. Oktober mit Likes und Herzchen.

„Findungsprozess neu aufsetzen“

Die aufgewühlte documenta-Leitung teilt nun mit, man werde „dem Aufsichtsrat vorschlagen, den Findungsprozess für die documenta 16 vollständig neu aufzusetzen.“

Als Weltkunstausstellung ist die documenta quasi die Olympiade der Branche. Alle fünf Jahre ausgerichtet, kann sie große Karrieren befördern. Dabei siedelt die Findungskommission in einem Zwischenraum. Sie bestimmt, wer die nächste Schau kuratiert, der oder die Erkorenen wählen dann die Werke dafür aus.

Im geborstenen Findungsprozess spiegeln sich die Verwerfungen der Gegenwart, hier zeigt sich die documenta als blühendes Symptom. Multiple Krisen und manipulierte Meinungen behindern das Finden, nicht nur als den Erfolg einer Suche, sondern auch als Antwort auf die Frage: Wie finden wir das, was in der Welt passiert?

Kompakte Antworten boten seit längerem kulturell und akademisch eingekleidete Ressentiments gegen „Israel“, „Zionismus“ und „die Juden“ als Stellvertreter etwa von Kolonialismus, Imperialismus, Kapitalismus.

In den 1970er-Jahren, als die heute Lehrenden im Studium waren, avancierte das schwarz-weiße Palästinensertuch zur Campus-Mode. Ideologien des Postkolonialismus lieferten später passendes postmodernes Vokabular nach.

Doch die bewährten Muster könnten ihren Kulminationspunkt erreichen. Jetzt, da immer mehr Autokratien gegen die Demokratie vorgehen, und Staatschefs wie Erdogan die Hamas bejubeln, könnte produktiver Zweifel das Palästinensertuch wegziehen. Dahinter würde dann eine komplexere Realität sichtbar werden.