Musik aus der Zukunft

Segelschiffe, die im Gegenlicht der untergehenden Sonne durch den Ozean gleiten. Fahnen knattern im Wind. Muskulöse Matrosen mit nackten, verschwitzten Oberkörpern setzen Segel. Gérard Depardieu beugt sich über die Reling und blickt ahnungsvoll in die Ferne. Dann taucht es schemenhaft auf, das dschungelhaft fremde Land, das sie fälschlicherweise für Indien halten. Die Musik dazu: spannungsvoll schwingende Streichersätze, ein mönchshaft brummender Chor, dramatisch anschwellend, bis sich das Finale – passend zum Ankersetzen – in gischtartig tosenden Bläsern und Beckenschlägen entlädt.

Ankunft in der neuen Welt

So hat Ridley Scott in seinem Historienfilm „1492 – Die Eroberung des Paradieses“, der 1992 zum 500-jährigen Jubiläum der sogenannten Entdeckung Amerikas in die Kinos kam, den Moment inszeniert, in dem der von Depardieu gespielte Christoph Kolumbus mitsamt der Besatzung seiner Schiffe Santa Maria, Niña und Pinta die neue Welt erreicht. Mehr noch als die Bilder ist der Soundtrack in Erinnerung geblieben, vor allem der genauso majestätisch wie melancholisch klingende Titelsong „Conquest of Paradise“.

Er stammt von dem griechischen Komponisten Vangelis. Im Video dazu sieht man, wie der Musiker Filmszenen auf der Leinwand studiert und auf seinem Synthesizer begleitet. Im Gegenschnitt: der English Chamber Choir, der die Gesangsparts beisteuert. Den Text besteht aus Zeilen wie „In noreni per ipe / In noreni cora / Tira mine per ito / Ne domina“, die lateinisch klingen, aber nicht lateinisch sind.

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Es handelt sich um romanische Versatzstücke, aneinandergefügt zu einem archaisierenden Esperanto. Ein Hit wurde „Conquest of Paradise“, als der Boxer Henry Maske ab 1995 zu den Klängen dieses Stücks in den Ring marschierte. Danach stand es fast drei Monate auf Platz Eins der deutschen Single-Charts.

Exil in Paris

Vangelis, geboren 1943 als Evangelos Odysseas Papathanassiou in der ostgriechischen Kleinstadt Agria, war mit der Progrock-Gruppe Aphrodite’s Child bekannt geworden, die er 1968 im Pariser Exil mit dem Sänger Demis Roussos gegründet hatte. Später zog er nach London, baute ein Studio auf, das er nach dem mythischen U-Boot-Kapitän Nemo benannte, und begann eine Solokarriere, bei der er fast ausschließlich auf elektronische Instrumente setzte.

Seinen ersten Soundtrack schrieb Vangelis 1970 für das Liebesdrama „Sex-Power“, es folgten mehr als 70 weitere Filmmusiken: für Hollywood-Blockbuster wie Oliver Stones Sandalenfilm „Alexander“ genauso wie für Dokumentationen oder Fernsehserien. Der Oscar, den er 1982 für den Sportlerfilm „Die Stunde des Siegers“ bekam, war der erste Oscar für einen Soundtrack, der auf einem Synthesizer entstanden war. Sein Meisterwerk sind die Titel, die er für Ridley Scotts Science-Fiction-Klassiker „Blade Runner“ komponierte, eine kalte minimalistische Zukunftsmusik.

Musik sei „die wichtigste Kraft des Universums und auch ihr Antrieb“, hat Vangelis gesagt. Am Dienstag ist er in Paris gestorben. Die Bedeutung, die der Musiker für Griechenland hatte, zeigt sich darin, dass sein Tod am Donnerstag vom Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis verkündet wurde.