Molecule Man in der Serie „Berliner Trüffel“: Der Ringer in der Spree

Dieser Mann ist eigentlich ein Triumvirat. 30 Meter hoch, 45 Tonnen. Dabei so leichtfüßig auf dem Wasser. Sein Anblick wirkt schon dank dieser gewaltigen Maße großstädtisch. Aber auch die Emotionen, die er auslöst, passen ins Berliner Bild: Umarmen sie sich? Gehen sie einander an die Gurgel? Ist es Liebe oder Abstoßung oder beides?

Selbst an grauen Tagen verliert er nicht den silbrigen Glanz. Sein perforierter Köper widersteht den miesesten Wetterlaunen. Ohne ihn wäre die Spree zwischen Oberbaum- und Elsenbrücke ein fahles Gewässer. Steht man im Stau auf der behelfsmäßigen Elsenbrücke – und das passiert oft genug, erst in fünf Jahren dürfte der Brückenneubau stehen –, behält der schmale Riese dort im Wasser die Nerven.

Berlin ist nicht reich an markanten Skulpturen im öffentlichen Raum. Er ist eine Ausnahme. Der „Molecule Man“ wurde von dem heute 80-jährigen US-amerikanischen Künstler Jonathan Borofsky geschaffen und 1999 vor den Treptowers der Allianz AG aufgestellt. Der Versicherungskonzern hat das Werk finanziert.

Was soll er nicht alles symbolisieren! Hier treffen Kreuzberg, Friedrichshain und Treptow aufeinander, Ost und West, Wasser und Himmel. Und Jonathan Borofsky will daran erinnern, „dass s es das Ziel aller kreativen und geistigen Traditionen ist, Ganzheit und Einheit innerhalb der Welt zu finden.“

Für die Documenta entwarf er den „Man walking to the sky“ am Kulturbahnhof Kassel. In Frankfurt am Main steht der „Hammering Man“, der seine Brüder in Seoul, Seattle und anderen Städten der USA grüßt. Für Peking schuf er den farbig-fröhlichen „People Tower“. Borofskys hoch aufragende Metallstatuen haben zugleich etwas Fragiles, Verletzliches. Nennen wir es eine wunderbare Verbindung von Material, Dimension, Lokalität und Poesie.

Vor Jahren bekam ich einmal einen Trip mit dem Wasserflugzeug geschenkt. Wir starteten am Hafen Treptow Richtung Norden. Der „Molecule Man“ war damals noch ein Neu-Berliner. Die Cessna gewann schnell an Höhe über den Brücken, der Riese war nur noch ein Strich im Fluss.

Ich denke manchmal: Wann läuft er los übers Wasser? Oder lösen sich die Moleküle auf und formen eine neue Gestalt? Bis dahin bleibt er ein freundlicher Ruhepunkt dieser im Winter so abweisenden, tristen Stadt. Man kann sich auf ihn verlassen.

In der Serie „Berliner Trüffel“ geht es immer sonntags um Kunstwerke im öffentlichen Raum.

Berliner Trüffel

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