Miriam Thimm will Wandel durch Aufklärung

Als Miriam Thimm klein war, probierte sie so ziemlich jede Sportart aus. Basketball, Tischtennis, Fußball, Ballett, Taekwondo – die Liste ist lang. „Ich war ein vollkommen wirbeliges Kind“, sagt sie und lacht. „Es war klar, dass ich mich in irgendeiner Weise bewegen und auspowern muss.“ Mit sieben Jahren stand sie dann zum ersten Mal auf dem Eis, drei Jahre später hielt sie ihren ersten Schläger in der Hand. Damals spielten die Nachbarsjungen Eishockey und fragten Thimm, ob sie mitmachen wolle. „Ich habe sofort gemerkt: Das ist meins.“

Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass sie eines Tages die erste schwarze Eishockeyspielerin des deutschen Nationalteams sein würde. Das lag vor allem daran, dass es Thimm in ihrer Jugend an Vorbildern mangelte. „In den 1990er Jahren war Jarome Iginla ein großes Vorbild für mich, aber dann hörte es eigentlich auf, was schwarze Spieler oder People of Color anging.“ Heute will die 42 Jahre alte Eishockeyspielerin, die einst den Bundesligisten Düsseldorfer EG trainiert hat, dazu beitragen, dass sich das ändert; dass junge schwarze Spieler*innen Vorbilder haben, die sie inspirieren und an denen sie sich orientieren können.

Denn Identifikationsfiguren seien wichtig, sagt Thimm, besonders wenn man Opfer rassistischer Anfeindungen wird. „Wenn Vorbilder rar sind, kann das im schlimmsten Fall zum Karriereende führen. Viele Talente sind uns abhandengekommen, weil wir keine Vorbilder hatten und weil wir nicht rechtzeitig auf Anfeindungen reagiert haben.“ Fast auf der ganzen Welt sei Eishockey eher privilegierten und damit weißen Menschen vorbehalten, Deutschland bilde da keine Ausnahme. „Wenn man als einzige Schwarze in einer weißen Mannschaft spielt, kommen damit Probleme auf, nicht nur innerhalb des Teams, sondern auch innerhalb der Strukturen“, sagt Thimm. Sie selbst hat in ihrer Karriere immer wieder rassistische Vorfälle erlebt; nicht von ihren Mitspielerinnen, aber von gegnerischen Teams und deren Fans. Andere schwarze Spieler berichteten ihr außerdem von rassistisch motivierten Problemen beim Kampf um einen Platz im Team.

Um dem entgegenzuwirken, hat die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) nun in Kooperation mit Hockey is Diversity zwei Ombudspersonen berufen: Miriam Thimm und Denis Kyei-Nimako, der seit 2010 als Linienrichter aktiv ist. Die beiden sollen bei diskriminierenden Vorfällen rund um Spiele innerhalb der Liga als Vermittler*innen agieren. Damit wollen sie sensibilisieren und dazu beitragen, dass solche Vorfälle seltener oder im besten Fall gar nicht mehr vorkommen.

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Neben der Sachaufklärung durch Videos und Berichte dürfen Thimm und Kyei-Nimako auch über mögliche Strafen entscheiden. Denn das Strafmaß bei rassistischen Vorfällen stand in der Vergangenheit immer wieder in der Kritik. Erst im vergangenen Jahr wurde Jalen Smereck, der beim ukrainischen Verein Donbass Donezk spielte, von seinem Gegenspieler Andrei Denyskin rassistisch beleidigt. Dieser imitierte das Schälen und Essen einer Banane und wurde daraufhin gesperrt. Allerdings konnte er seine Sperre für eine Geldstrafe von knapp 1700 Euro von dreizehn auf drei Spiele verkürzen. „Das ist beschämend und zeigt, dass viel Arbeit vor uns liegt, um einen Wandel in den Köpfen der Verantwortlichen zu erzeugen“, sagt Thimm. Zu häufig würden Alltagsrassismus und Rassismus im Sport bagatellisiert.

Jalen Smereck spielt mittlerweile für die Bietigheim Steelers in der DEL, nachdem er in Erwägung gezogen hatte, gar nicht mehr in Europa aufs Eis zu gehen. Doch auch hierzulande musste er Anfeindungen über sich ergehen lassen, wurde in den Sozialen Medien als „Monkey“ beschimpft. Ähnliches zeigte sich bei einem Testspiel zwischen dem ERC Ingolstadt und den Straubing Tigers, als Daniel Pietta eine rassistische Geste in Richtung des Gegenspielers Sena Acolatse machte.

Im Nachhinein schob Pietta den Vorfall auf seinen leeren Magen, stellte das Ganze als eine Art Kurzschlussreaktion dar. „Aber so darf eine Kurzschlussreaktion nicht aussehen“, betont Thimm.

Zwischen den Ländern sieht Thimm große Unterschiede, die auch mit der Politik zusammenhängen. „In einem Land wie Ungarn, wo ein Populist an der Spitze steht, der Homosexualität unter Strafe stellt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn in den Köpfen junger Eishockeyspieler diese Dinge gefestigt sind.“

Zwischen Männern und Frauen gibt es in puncto Rassismus und Homofeindlichkeit große Unterschiede

Aber auch zwischen den Männern und Frauen gebe es Unterschiede in Bezug auf Rassismus und Homofeindlichkeit. „Bei den Frauen wird sehr viel offener mit Homosexualität umgegangen. Bei den Männern hingegen wird nach außen ein harter Sport suggeriert, deshalb ist die Angst vor Anfeindungen ungleich größer.“

Bis ein Profispieler offen mit seiner Homosexualität umgehe, sei es noch ein langer Weg, zumal Eishockey in Deutschland eher eine Randsportart sei, glaubt Thimm. „Wenn die Fußballer nicht vorangehen, wird es in männerdominierten machobehafteten Strukturen wie im Eishockey schwierig.“ Viele hätten Angst vor beruflichen Konsequenzen – ähnlich wie beim Thema Rassismus. So erging es auch Thimm während ihrer Zeit als Spielerin. „Man ist gehemmt und überlegt sich zweimal, ob man etwas sagt, besonders wenn man später davon leben will.“

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Mittlerweile wurde Thimm von der nordamerikanischen „The Hockey News“ als eine von 20 schwarzen Frauen gewürdigt, Eishockeygeschichte geschrieben zu haben. Diese Auszeichnung hat für sie eine große Bedeutung. Es sei schön, eine große Reichweite zu haben, sagt Thimm, und andere schwarze Spielerinnen damit zu ermutigen. Denn die Führungsriege ist im Eishockey nicht nur weiß, sondern außerdem männlich geprägt, deshalb stehen schwarze Spielerinnen vor besonders großen Hürden. „Ich muss als schwarze Frau doppelt so hart arbeiten, um die gleiche Anerkennung zu bekommen“, sagt Thimm. „Als weißer Mann könnte ich mit meinen Qualifikationen längst vom Sport leben.“

Sie beobachtet aber auch positive Entwicklungen, besonders seit der Black- Lives-Matter-Bewegung und der MeToo- Debatte. Dadurch würden gerade Frauen und People of Color langfristig Gehör finden. „Erstmals werden einzelne Fälle nicht nur kurzzeitig diskutiert. Der Wandel ist deutlich spürbar.“ Auch die DEL sei mit der Schaffung der neuen Position einen wichtigen Schritt gegangen. Stück für Stück würden die Strukturen aufgebrochen, damit mehr Menschen Zugang zum Eishockey hätten. Insofern könnten junge Spieler und Spielerinnen in ein paar Jahren auch mehr Vorbilder haben, als es noch in Thimms Jugend der Fall war.