Kolumne Schlamasseltov: Ein Brötchen mit Loch ist kein Bagel

Lange Zeit war es eine Rarität in Berlin einen guten Bagel zu bekommen. Oder gehen wir noch weiter zurück: Es gab Zeiten, da war es schwierig überhaupt Bagels in Berlin zu bekommen. Es blieb nur die Pilgerfahrt zu Barcomi’s in Kreuzberg. Dann fingen Bäckereien und Backshops an „Bagels“ mit ins Sortiment aufzunehmen und ich schreibe „Bagels“ in Anführungszeichen, weil es sich in der Regel einfach um Brötchen mit Loch in der Mitte handelte.

Aber ringförmige Brötchen reichten scheinbar aus, um den Hype in Gang zu bringen und schließlich gesellten sich zu Barcomi’s vor einigen Jahren auch noch Fine Bagels in Friedrichshain und Mascha’s in Alt-Treptow. Natürlich – und das schreibe ich aus voller Überzeugung – werden die besten Bagels der Stadt in jüdisch geführten Cafés verkauft. Kulturelles Selbstbewusstsein und intergenerationales Wissen machen Essen einfach besser. Da kann kein goj’sches Brötchen mit Loch mithalten.

Und mit dem Wissen, dass Menschen zum Judentum konvertieren, weil sie Bagels lieben (kein Witz), erlaube ich mir die nicht ganz ernstgemeinte Frage: Wenn Bagels backen ein jüdischer Skill ist, kann Bagels essen eine jüdische Praxis sein? Vieles spricht dafür: Die ungeklärte Frage, ob der New York Bagel oder der Montreal Bagel der bessere ist. Die endlosen Debatten darüber. Das wissen, dass jede und keine Position Recht hat und Bagels generell einfach erstmal gut sind.

Die Komplexität in der Herstellung und die Wut, die uns ergreifen kann, wenn wir feststellen, dass das Ding, in das wir gerade reingebissen haben, kein Bagel ist. Es ist unfermentiert und wurde nie gekocht. Ein Brötchen halt. Wenn es jemals Grund gab sich zu sorgen, dass das Judentum eine brachiale Rachekultur ist, dann ist es der Moment, in dem mir mal wieder in einer Kreuzberger Bio-Bäckerei ein überteuertes Brötchen mit Loch als Bagel verkauft wurde.

Aber es ist nicht nur unser Verhältnis zum runden Gebäck, das als kulinarische Manifestation jüdischer Praxis verstanden werden kann. Denn auch der Akt des Bagels-Besorgens ist gespickt mit jüdischen Juwelen. Zum Beispiel, wenn man versucht, 24 Stunden im Voraus Bagels bei Mascha’s zu bestellen und im Hintergrund die Stimme einer jiddische Mamme mit leidenschaftlicher Strenge am Telefon ausrichten lässt: „Sie bekommt zehn. Und das nächste Mal soll sie früher bestellen“. Das jüdische Herz lacht.