Regiedebüt von Saralisa Volm: Der Thriller „Schweigend steht der Wald“ im Kino

Den Wald lesen, das kann sie wie niemand sonst. Das sagen sogar die argwöhnischen Dörfler über die Forststudentin mit dem sprechenden Namen Anja Grimm. Der deutsche Wald, die Gebrüder Grimm – schon öffnen sich die Hallräume der Romantik. Die angehende Bodenkundlerin (Henriette Confurius) kartiert in „Schweigend steht der Wald“ 1999 einen Forst in der Oberpfalz.

Auf einer Lichtung entdeckt sie Ungereimtheiten in der Bodenstruktur. Sie deuten auf Grabungen hin. Und an einer anderen Stelle fällt ihr ein üppiger Brennnesselfleck auf. Merkwürdig, der Grund ist karg, woher holen die Pflanzen den nötigen Stickstoff?

In Saralisa Volms atmosphärischem Debüt deckt aber nicht nur die Natur Geheimnisse. Die hölzernen Oberpfälzer stehen dem Schweigen ihrer Kiefermonokulturen in nichts nach. Patriarch Gustav Dallmann (August Zirner) ist so einer. Die „Stinkfotzn“ möge schnellstens wieder verschwinden, gibt er Sohn Konrad (Robert Stadlober), seinem Nachfolger im Polizistenamt, zu verstehen.

Das hat ihr zuvor im Forst in einer ersten Schreckensbegegnung auch schon der Flinten-bewehrte Waldschrat Xaver Leybach (Christoph Jungmann) geraten. Nur dass Anja Grimm auch aus persönlichen Gründen in der Vergangenheit gräbt und ganz gewiss nicht aufhört. Ihr Vater, ein Botaniker, ist vor zwanzig Jahren beim Wandern in diesem Wald verschollen. Im Forst, der, wie sich herausstellt, mehr als eine Leiche im Keller hat.

Volms ambitionierte Mischung zwischen Thriller und Drama ist gelegentlich ein bisschen zu horrorhaft, zu drastisch unterwegs, aber insgesamt stimmig in der Tonalität. Provinzielle Enge, Hierarchien, Existenzängste und Männlichkeitswahn treffen auf die deutsche Vergangenheit und Misogynie. Ein trübes Bild, dass die Provinz hier abgibt. Sepiafarbene Flashbacks in Anjas Kindertage und beziehungsreiche Albträume erweitern das visuelle Spiel.

Drohnenflüge über das undurchsichtige Wipfelmeer, Dunstschwaden und untersichtige Kamerafahrten von Roland Stuprich an Baumstämmen entlang verstärken die Drohkulisse. Die Natur wirkt wohlsortiert vom Menschen und bleibt ihm doch mystisch verschlossen. Nur die dräuende Musik von Malakoff Kowalski trägt mit ihren Suspense und Grusel schürenden Streicher-Dissonanzen zu dick auf.

Anders Henriette Confurius, die sich in diesem originellen Part als Bodenkundlerin mit Kinderwollmütze mit größter Selbstverständlichkeit durch den Untergrund wühlt, ohne ein Forensik-Spektakel daraus zu machen. Und es in einer tollen Nachtszene im finsteren Tann mit einer wütenden Sau aufnimmt.

Das Wildschwein schießen, sich selbst mit zitternden Fingern eine Wunde am Bein zutackern und die Sau am Morgen im Kühlhaus auszuweiden, wirkt in ihrem naturalistischen Spiel wie stinknormaler Försterinnenzeitvertreib.

Mit dem Jungbauern Rupert (Noah Saavedra) verbinden sie glückliche Kindertage. Und in der Gegenwart die sparsam gespielte Sympathie zweier Zweifelnder, die was gegen die Omertà im Dorf haben. Im Gegensatz zu Anja ist Rupert jedoch korrumpierbar. Er hat Schulden. Und er braucht Geld, weil nach Xavers Einlieferung in die Psychiatrie der Weg für sein Herzensprojekt frei zu sein scheint: ein Märchenwald mit Baumwipfelpfad als Ausweg aus dem ewigen Geknapse auf dem elterlichen Hof.

Doch in einem Thriller, der mit wimmelndem Gewürm beginnt, ist keine Erlösung zu erwarten. Egal, wo man an der Oberfläche kratzt, es lauert Ekliges darunter. Selbst Anjas Kraulrunden im leeren Hallenbad können – von Daniel Kundrat parallel montiert mit einem Todeskampf – traumatische Abgründe öffnen. Deutscher Wald, deutsches Gemüt und deutsche Schuld: Man kriegt sie nicht auseinander.

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