Kathleen Reinhardt im Porträt: Die Madeleine unter Glas
Im Café Benjamine herrscht schon morgens Betrieb. Das Restaurant im ehemaligen Wohnhaus von Georg Kolbes Tochter hat sich zu einem Hotspot im Westend entwickelt. Längst kommen nicht nur Besucher des Bildhauer-Museums in das nach Kolbes verstorbener Frau benannte Café. Im Geschoss darüber breitet sich dagegen erstaunliche Ruhe aus, das Licht fällt gefiltert durch die Kiefern im Garten herein.
Doch bevor sich Direktorin Kathleen Reinhardt, deren Büro sich hier oben gleich neben der Bibliothek befindet, zum Gespräch an den langen Tisch setzt, will sie durch die Jubiläumsschau im Nachbargebäude führen. Vor genau 75 Jahren wurde das ehemalige Atelier des Künstlers als erstes Museum Berlins eröffnet, rundum lag die Stadt vielerorts noch in Trümmern.
„Tea and Dry Biscuits“ hat Kathleen Reinhardt die Ausstellung genannt in Anspielung auf ein Zitat im „Guardian“, der über die Trauerfeier für den Bildhauer berichtete, auf der Tee und trockenes Gebäck gereicht wurden. Seinen künstlerischen Nachlass samt Atelier und Wohnhaus hatte Kolbe in eine Stiftung eingebracht und der Stadt vermacht. Drei Jahre nach seinem Tod fand weihevoll die erste Ausstellung statt.

© Enric Duch
Dass nicht alle ihr so schnell folgen können, erfuhr sie beim Forschungsprojekt zum Tänzerinnen-Brunnen im Garten. Als vor wenigen Wochen die NS-Raubkunst-Affäre über Kathleen Reinhardt hereinbrach, nahm die „Berliner Zeitung“ sie damit in Schutz, „ein paar Monde weiter“ zu sein.
Die Direktorin hatte es in der ansonsten tadellos aufklärenden Ausstellung zum Brunnen-Vorbesitzer und seinem Schicksal im Untergeschoss des Museums ebenso wie in der begleitenden Publikation versäumt, die präzise Bezeichnung „NS-verfolgungsbedingter Entzug“ zu benutzen. Auch auf der geplanten Plakette am Brunnen wäre diese eindeutige Benennung nicht vorgekommen.
Auf der Website des Museums verweist inzwischen ein „Breaking News“-Laufband auf das Statement des Kuratoriums der Kolbe-Stiftung zum Tänzerinnen-Brunnen: Das Museum sehe sich in seinem Handeln klar den Washingtoner Prinzipien verpflichtet, heißt es darin.
Ja, was denn sonst, scheint Kathleen Reinhardt die Aufregung immer noch nicht ganz zu verstehen. „Es gab nie eine böse Absicht“, stellt sie richtig. Einer Restitution sieht sie gelassen entgegen: Man könne einzelne Teile des Brunnens nachgießen lassen oder über eine Leihgabe mit den Nachfahren des früheren jüdischen Besitzers verhandeln. „Jetzt sprechen erst einmal die Anwälte miteinander.“
Ähnlich robust erklärt sie, bei der Aufregung um ihre vermeintliche Haltung als Museumsdirektorin keinen Schaden genommen zu haben. Auch nicht für ihren anderen Job, der im kommenden Jahr auf sie wartet. Im Gegenteil!
So kerzengerade wie sie dasitzt und ihre Augen durch die eckige Brille funkeln, glaubt man es ihr sofort. 2026 wird Kathleen Reinhardt den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig kuratieren, eine ehrenvolle Berufung durch das Institut für Auslandsbeziehungen.
Die Auseinandersetzungen um den Tänzerinnen-Brunnen seien eher eine gute Vorbereitung gewesen, um sich zu überlegen, von welcher Seite die Zugriffe kommen könnten, gibt sich Kathleen Reinhardt kämpferisch. Vor allem konservative Medien attackierten sie.
Als Kuratorin bei den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden erlebte sie schon zuvor, wie sich Stimmungen gegen ein Museum aufbauen können. Damals wurde dem Albertinum unterstellt, es würde die DDR-Kunst verbannen. Die Sorge um Besitzstände, Interpretationshoheiten spielte hinein.
Doch Reinhardt ist schon weiter. Stolz blitzt durch, als sie davon erzählt, wie sie sich mit ihrem Konzept für den Deutschen Pavillon gegen sechs andere Kandidaten durchsetzen konnte. Ende Mai gab sie ihre Auswahl bekannt: zwei Künstlerinnen, wie sie aus der ehemaligen DDR, Henrike Naumann und Sung Tieu.
Die Reaktionen reichten von Begeisterung über ein solch klares Statement bis zu Skepsis angesichts des „identitätspolitischen Trichters“, den das „Art Magazin“ in Hamburg befürchtete. Schon wieder so ein Begriff aus den Neunzigern, ärgert sich die Pavillon-Kuratorin und führt aus, was ihre Kombination einleuchtend macht.
Sie alle drei, Künstlerinnen und Kuratorin, seien Millennials und hätten im Jahrzehnt nach dem Mauerfall erlebt, wie prägend damals in Ostdeutschland die Neonazis waren. Sie selbst ist in Sangerhausen geboren und wuchs seit ihrem zehnten Lebensjahr in Bayern auf.
Die jüngsten Wahlsiege der AfD kämen für sie alle nicht überraschend. Genau diese Erfahrungen möchte Reinhardt in den deutschen Pavillon einbringen, der durch seine besondere Historie anders als bei allen anderen Ländern in Venedig stets um sich und das Nationale kreist.