Kalte Hölle Provinz
Vielleicht sind junge deutsche Filmschaffende in den letzten zwei Jahren auch ziemlich viel spazieren gegangen. Ihre Inspiration scheinen sie jedenfalls im Wald gefunden zu haben. Schon auf der Berlinale war die Reihe Perspektive Deutsches Kino voll beklemmend aufgeladener Naturimpressionen aus der Provinz, mit Filmen wie „Gewalten“ oder „Schweigend steht der Wald“. Das Debüt „Trübe Wolken“ von Christian Schäfer sucht nun ebenfalls das Unheimliche im Unterholz. Meist liegt ein Klangteppich aus dunklen Synthie-Sounds und zerbirstendem Geäst über diesen Bildern.
Der da an schulfreien Nachmittagen durch Nadelwälder und Bachläufe stapft, lässt sich vielleicht am ehesten mit anderen Heranwachsenden der deutschen Literaturgeschichte fassen: Musils Törleß, die „Jugend ohne Gott“ aus dem Roman von Ödön von Horváth – oder der junge Drifter aus Christoph Hochhäuslers Film „Falscher Bekenner“. Paul, von Jonas Holdenrieder bemerkenswert reduziert gespielt, verbindet mit diesen Figuren die gutbürgerliche Herkunft, die Empathielosigkeit und eine scheinbar unmotivierte Faszination für Gewalt.
Bei Musil und Horváth steht hinter solchen Charakteren ein gewaltsam-autoritäres Herrschaftssystem. Von derlei Zumutungen ist Pauls Leben weit entfernt: Kleinstadt-Jugend, wohlmeinende Eltern, eine Schullaufbahn ohne besondere Vorkommnisse. Freundschaften und Interessen scheint er nicht zu haben. Stattdessen schnüffelt Paul in den Privatsachen von Fremden herum. Der Tod eines Mitschülers lässt ihn kalt.
Das Abgründige im Gewöhnlichen
Ein gewissermaßen zum Haneke-Klischee erstarrter Ansatz ist es, das Abgründige gerade im Gewöhnlichen zu suchen, in der vermeintlichen Hölle der behüteten Bürgerlichkeit. Man hat solche Familienbilder im deutschsprachigen Film einfach schon zu häufig gesehen: die hilflose Entfremdung zwischen Eltern und Kindern am Esstisch, das Herumstochern im Omelett. Sätze wie „Warum bist du nur so?“. Diese Fährte verfolgt „Trübe Wolken“ leider schon ein wenig, nicht zuletzt, weil Pauls jüngerer Bruder Silas hinter der Fassade ebenfalls zu Gewaltakten neigt.
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Auf der anderen Seite legt der Film aber auch ein paar falsche Fährten. Der wortkarge Protagonist bekommt im Unterricht eher zufällig den Ruf eines Poeten – und wird so zum Faszinosum für zwei andere. Die kunstbegeisterte Mitschülerin Dala (Valerie Stoll) ähnelt da ein bisschen arg der Männerfantasie eines „Manic Pixie Dreamgirl“; aber eine Lehrerfigur wie die von Devid Striesow, oftmals als Biedermann besetzt, hat man bisher eher selten gesehen.
(In den Kinos Klick, Sputnik, Zukunft)
Bulwer, ein im Rollstuhl sitzender Literatur- und Biologielehrer, tritt gegenüber Paul als Mentor auf, der merkwürdig-zusammenhanglose Sätze in den Raum wirft: „Ein erregter Zustand in Verbindung mit der Natur ist der Samen jeder Kunst.“ Striesow wandelt in seinem Spiel perfekt auf dem schmalen Grat zwischen Pathos und Unheimlichem. Es sind Sätze, die sich auch als Projektion für Pauls Verstörungen lesen lassen – und über die der Film an eine deutsche Schauertradition von „Nosferatu“ bis Gottfried Benn anknüpft.
Mit seiner kühlen, stilsicher inszenierten Atmosphäre entwickelt „Trübe Wolken“ einen Sog. Das liegt an den sorgfältig ausgewählten Räumen – ein stillgelegtes Schwimmbad, ein Biologie-Labor mit ausgestopften Tieren – und der stets nervös zuckenden Handkamera, die diese Räume vermisst. An einer Montage, die nie auf den Effekt hin gearbeitet ist, sondern einen schlafwandlerischen Rhythmus entfaltet. Ein eindeutig an Kinobildern geschulter Genrefilm, von dem es im deutschen Kino gerne mehr geben darf.