Jugendorchestertreffen im Berliner Konzerthaus: Praktiker, Nervensäge und Hochbegabte

So machen es kluge Unternehmerinnen: Wenn die Firma richtig gut läuft, holen sie sich jemanden ins Team, der unangenehme Fragen stellt. Jemanden, der die Betriebsabläufe hinterfragt, die so perfekt eingespielt scheinen – und der behauptet, dass es auch anders machbar ist.

Gabriele Minz, die Geschäftsführerin von „Young Euro Classic“, hat sich darum für Mathias Hinke entschieden. Gemeinsam mit Freunden gründete sie kurz vor der Jahrtausendwende eine Bürgerinitiative, mit dem Ziel, in der Sommerpause der Berliner Kulturinstitutionen ein Jugendorchestertreffen zu organisieren.

Die Idee kam genau zur richtigen Zeit, das Publikum strömte, angezogen von der überschäumenden Spielfreude der Nachwuchstalente – und der besonderen Atmosphäre des Festivals, das einen blauen Europa-Teppich auf der Freitreppe des Konzerthauses am Gendarmenmarkt ausrollte, eine eigene Hymne hatte und prominente Paten einlud, um die Abende mit persönlichen Worten zu eröffnen.

Eine eigene Hymne fürs Festival

Um die künstlerische Koordination kümmerte sich von Anbeginn der Dramaturg Dieter Rexroth. Nach seinem Tod im vergangenen Jahr wurde aber nicht wieder ein Musikwissenschaftler engagiert, sondern der Komponist und Musikvermittler Mathias Hinke sowie der Cellist Alban Gerhardt. Gerhardt ist als weltweit gefragter Solist bestens in der Klassikszene vernetzt und bringt die Praktiker-Perspektive in die Teamarbeit an. „Und ich bin der Typ, der nervt“, sagt Mathias Hinke lachend.

Hinke wurde 1973 in Mexiko-Stadt geboren, studierte in New York und lebt seit 1998 in Berlin. Er ist mit allen Wassern gewaschen, wenn es um aktuelle gesellschaftspolitische Debatten geht. Er nutzt rhetorisch versiert sämtliche Diskurs-Modewörter und kann mitreißend von neuesten Formen der partizipativen Kulturvermittlung schwärmen.

Enthusiasmus flutet den Saal

Wie viele Stunden seines Lebens Hinke in Teamsitzungen verbracht hat, lässt sich an der rhetorischen Defensiv-Formel ablesen, die er häufig einbaut: „Ich lasse mich gerne überstimmen.“ Will sagen: Er hat tolle Ideen, aber er ist kein Chef-Typ, der seine Überzeugungen kompromisslos durchboxt.

Die Frage nach der Relevanz von Hochkultur treibt Mathias Hinke besonders um. Dabei kann man sich kaum etwas Relevanteres vorstellen als ein Jugendorchestertreffen. Hochbegabte aus aller Welt kommen zusammen, bringen Werke aus ihrer Heimat mit, fluten den Konzerthaus-Saal mit Enthusiasmus. Mehr Zukunftsmusik geht eigentlich nicht.

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Statt der Hymne wird es in einigen Konzerten kleine Improvisationen geben, als Ergebnis von Workshops, bei denen einige Mitglieder der Orchester jeweils auf Ensembles aus anderen Kulturkreisen treffen. Dabei sollen sich kreative Dialoge entfalten. Ein typisches Hinke-Projekt. Von ihm stammt auch die Idee, dass statt der Paten zu Konzertbeginn jeweils ein Vertreter des Orchesters von der Probenarbeit oder seinen individuellen Gedanken über die Kompositionen berichtet.

Die größte Neuerung dieses Festivaljahrgangs aber wurde nicht von Mathias Hinke angeregt, sondern vom Publikum selbst. Immer wieder, so erzählt Gabriele Minz, sei sie von Stammgästen darauf angesprochen worden, ob die Konzerte nicht schon um 19 Uhr beginnen könnten – damit hinterher Zeit bleibt, um sich bei einem Getränk über das Gehörte auszutauschen. Das hat die Festivalmacherin überzeugt: Ein Gespräch unter Freunden ist schließlich die angenehmste Form partizipativer Musikvermittlung.