Jenni Hermoso und der Kuss des Präsidenten: Euphorie rechtfertigt keine sexualisierte Gewalt
Es waren verstörende Bilder: Nach dem 1:0-Finalsieg des spanischen Nationalteams gegen England bei der Fußball-Weltmeisterschaft drückte Spaniens Verbandspräsident Luis Rubiales bei der Siegerehrung Jenni Hermoso erst einen Kuss auf die Wange und dann auf den Mund. Anstatt Hermoso – wie es üblich ist – mit einem Handschlag oder einer Umarmung zum Titel zu beglückwünschen, verhielt er sich übergriffig. „Es hat mir nicht gefallen“, sagte die Spielerin wenig später. „Aber was soll ich machen?“
In den sozialen Medien wurde rasch Kritik laut. Gleichzeitig nahmen zahlreiche User*innen den Verbandspräsidenten in Schutz. Es sei ein Moment der Euphorie und des Jubels, hieß es da, insofern seien überschwängliche Reaktionen üblich. Doch Euphorie rechtfertigt keine sexualisierte Gewalt. Rubiales nutzte den Moment, in dem die Spielerinnen feierten und ihren historischen Sieg bejubelten, aus, um seine eigene Macht zu demonstrieren; um sich über Spielerinnen zu erheben, die letztlich vom Verband abhängig sind und in der Hierarchie weiter unten stehen.
Umso wichtiger erscheint es, jenes Verhalten als das zu benennen, was es ist: sexualisierte Gewalt. Das tat auch die spanische Gleichstellungsministerin Irene Montero auf Twitter/X. Die Tageszeitung El Pais bezeichnete den Kuss als „eine Aggression“.
Rubiales hingegen schien die Tragweite seines Verhaltens in keiner Weise zu realisieren. Ganz im Gegenteil: Die Vorwürfe tat er als „Unsinn“ ab und diffamierte Kritiker*innen als „Idioten“. Nach der Siegerehrung setzte er sogar noch einen darauf und verkündete in der Umkleide der Spielerinnen, Hermoso auf Ibiza heiraten zu wollen.
Der Vorfall sollte Konsequenzen haben
Der spanische Verband versucht nun offenbar, den Vorfall möglichst schnell unter den Teppich zu kehren. Am Montag wurde ein Statement veröffentlicht, in dem Hermoso mit den folgenden Worten zitiert wird: „Es war eine völlig spontane gegenseitige Geste aufgrund der immensen Freude, die der Gewinn einer Weltmeisterschaft mit sich bringt.“ Eine Aussage, die weit weniger authentisch erscheint als ihre Reaktion unmittelbar nach dem Vorfall.
Rubiales wird kaum von alleine zurücktreten. Es braucht anhaltenden Druck von außen, damit sein Verhalten Konsequenzen hat – nicht nur beim spanischen Verband, sondern auch bei der Uefa, wo er derzeit Vizepräsident ist. Die Spielerinnen haben bereits in den vergangenen Monaten gegen den Führungsstil ihres Trainers Jorde Vilda protestiert, dem sie unter anderem Kontrollzwang und hohen psychischen Druck vorgeworfen hatten.
Es ist anzunehmen, dass sie auch gegen Rubiales Verhalten protestieren werden. Bei ihrem Kampf sollten Fans und Vereine sie unterstützen – damit der nächste Siegesjubel nicht erneut für Machtdemonstrationen missbraucht wird.