Hymnen-Eklat bei US Open: Alexander Zverev beweist Haltung
Wenn Sportler:innen aller Nationen zu Turnieren rund um den Globus reisen, dann sind sie dort nicht nur in eigener Mission nach sportlichem Erfolg unterwegs. Sie sind Botschafter:innen ihres jeweiligen Landes. Seit jeher dient der Sport dem kulturellen Austausch und der Völkerverständigung – als viel beschworenes Spiegelbild der Gesellschaft. Und weil das Spiegelbild ab und zu seine Fratze zeigt, ist es Aufgabe besagter Botschafter:innen, dem entsprechende Werte entegenzuhalten. So wie es Alexander Zverev getan hat.
Als Zverev beim Achtelfinale der US Open gegen Jannik Sinner zu einem Aufschlag ansetzte, war deutlich zu hören, wie der Ruf „Deutschland über alles“ durch das New Yorker Arthur-Ashe-Stadion schallte. Zu dem Zeitpunkt waren bereits mehr als drei Stunden gespielt, es stand 2:2 im vierten Satz. Zverev hatte davor Probleme gehabt, verzog immer wieder das Gesicht.
Zverev berichtete dem Schiedsrichter von dem Zwischenruf
In keinem anderen Sport ist die mentale Verfassung derart spielbestimmend wie im Tennis. Doch anstatt sich blind auf das Spiel zu konzentrieren, berichtete Zverev dem Schiedsrichter von dem Vorfall. „Wenn ich nicht reagiert hätte, wäre es schlecht von mir gewesen“, sagte er nach der Partie. Das ist nicht selbstverständlich.
Dass die Mär von einem unpolitischen Sport nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, dürfte spätestens mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der damit verbundenen Debatte über den Umgang mit russischen und belarussischen Sportler:innen deutlich geworden sein. Dass sich Sportler:innen politisch positionieren, ist dennoch die Ausnahme und nicht die Regel. Wer zu vermeintlich heiklen Thematiken Stellung bezieht, muss soziale Schmähung fürchten.
Die Wahrnehmung Deutschlands im Ausland
Die ukrainische Tennisspielerin Marta Kostjuk wurde vom Publikum ausgepfiffen, als sie ihrer belarussischen Gegnerin Aryna Sabalenka den Handschlag verweigerte, der American-Football-Spieler Colin Kaepernick hat seit den von ihm initiierten Proteste gegen Rassismus in der NFL keinen Verein mehr gefunden, die ehemalige Fußballspielerin Megan Rapinoe gilt aufgrund ihres Aktivismus zu Gleichberechtigung als Hassfigur bei den US-amerikanischen Republikanern.
Nun muss man weder den Eklat noch das Einschreiten von Alexander Zverev hochstilisieren. In Zeiten, in denen die Alternative für Deutschland (AFD) bei Umfragewerten von 20 Prozent floriert (einer Partei, deren „Flügel“ bei Versammlungen bereits die erste Strophe der Nationalhymne gesungen hat) und der stellvertretende Bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger die Schlagzeilen bestimmt, weil er ein Gespür für Erinnerungskultur schmerzlich vermissen lässt, darf man sich aber berechtigte Sorgen um die Wahrnehmung Deutschlands im Ausland machen. Alexander Zverev hat bei den US Open seinen Teil dazu geleistet, ein anderes Bild zu vermitteln.