Geniestreich für die Ewigkeit
Manchmal, ganz selten, genügt ein einziges Bauwerk, um als Architekt in die Geschichtsbücher einzugehen. So einer ist Peter Eisenman. Er hat das Holocaust-Denkmal, das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, in der Mitte Berlins entworfen.
Im Mai 2005 wurde es eingeweiht, und eine jahrelange, teils hitzig geführte Debatte über Gehalt und Gestalt eines solchen Denkmals ging schlagartig zu Ende. Sie ist nie wieder aufgeflackert, ein untrügliches Zeichen dafür, dass Eisenmans Entwurf genau der richtige war und immer bleiben wird.
Ein Architekt, der zufällig Jude ist
Seinerzeit wurde gern behauptet, Eisenman habe den Auftrag für das Holocaust-Denkmal erhalten, weil er Jude sei. Abgesehen davon, dass der Entwurf in einem anonymen Wettbewerb aus hunderten Einreichungen gekürt wurde, hat Eisenman eine solche Verbindung stets von sich gewiesen.
Er sei „ein amerikanischer Architekt, der zufällig Jude ist“, pflegte er darauf zu sagen.
1932 in New Jersey gegenüber von New York geboren und aufgewachsen, studierte er an den namhaftesten Universitäten und gründete 1967 sein eigenes „Institute for Architecture and Urban Studies“. Jahrzehnte der Lehrtätigkeit, wiederum an ersten Adressen, schlossen sich an.
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Gebaut hat Eisenman lange Zeit fast nichts, stattdessen mit seinen Vorlesungen und seinem philosophischen Austausch mit Größen wie Jacques Derrida eine ganze Generation von Architekten geprägt. Seine Analysen bestehender Bauten etwa von Terragni oder Palladio wurden Exerzitien des Poststrukturalismus; und obgleich Eisenman, wie auch seine anfänglichen Mitstreiter Richard Meier oder Charles Gwathmey, den Moderne-Mitbegründer Le Corbusier verehrte – wenn auch vielleicht mehr aus Opposition zur damaligen US-Architektur –, kehrte er jeglichem Funktionalismus den Rücken. Bauten hatten keine Funktion, sondern waren Zeichen innerhalb von komplexen Systemen. Linien und Raster musste zeichnen können, wer bei Eisenman studieren wollte.
In der Berliner Kochstraße baute er postmodern
Erst in den 1980er Jahren bot ihm die Berliner IBA die Möglichkeit, einen Geschosswohnungsbau zu errichten, an der Kreuzung Koch-/Friedrichstraße. Dazu lieferte Eisenman eine komplizierte Erklärung für leicht gegeneinander verschobene Gebäudeachsen, die die IBA-Verantwortlichen entzückte und dem Passanten bis heute nicht auffällt. In den USA entstanden gleichzeitig Bauten, die der Postmoderne zurechnen und eher skulpturalen Charakter haben. Mit dem Entwurf zum Holocaust-Denkmal aber hatte Eisenman seinen Genie-Moment.
Ausgerechnet der Theoretiker der tieferen Bedeutung leugnete jeden sprachlich zu äußernden Gehalt und betonte, sein Denkmal solle innerhalb des Lärms der Stadt einfach nur „schweigen“. Keine eingravierten Opfernamen, wie lautstark gefordert, keine Texttafeln, sondern nur Steine auf leicht abschüssigem Grund. Ein Meer von Steinen, in dem der Besucher verschwindet.
Ein Meer aus Steinen, in dem Menschen verschwinden
Noch am Tag der Denkmalseinweihung erklärte Eisenman, dass er „in den Menschen ein Gefühl erzeugen wollte, in der heutigen Zeit zu sein und dass sie eine Erfahrung machen sollen, die sie noch nie vorher gemacht haben. (…) Die Welt ist von Information überfüllt, und hier gibt es einen Ort ohne Information.“
Ja, Eisenman war gegen das nachträglich durchgedrückte, unterirdische Info-Center, aber „als Architekt gewinnt man in manchen Punkten, an anderer Stelle verliert man“, war dazu sein lakonischer Kommentar. Überhaupt blieb er gegenüber der Interpretationsbeflissenheit der Gedenkpolitiker reserviert.
In Santiago de Compostela geriet der Maßstab zu groß
Zu dieser Zeit war sein größter Gebäudekomplex bereits im Entstehen begriffen, die „Stadt der Kultur Galiziens“ oberhalb von Santiago de Compostela. Der Wallfahrtsort ist damit nicht recht glücklich geworden, zu groß geriet der Maßstab.
Zuvor hatte Eisenman für Berlin 1992 die Vision eines Gebäudes in Gestalt das scheinbar unendlichen Möbius-Bandes, das sich auf dem Platz des einstigen Großen Schauspielhauses in die Höhe schrauben sollte. Es waren die Jahre nach dem Mauerfall, als vieles möglich schien und doch nicht gewagt wurde.
Immerhin, das Holocaust-Denkmal wurde realisiert. An diesem Donnerstag feiert sein Schöpfer Peter Eisenman 90. Geburtstag. Sein jüngster, erst dieses Jahr entstandener Entwurf ist der eines Holocaust-Museums für Montreal.