„Es geht doch immer nur um Macht“: Brisanter „Tatort“ um katholische Kirche, Pädophilie und Vertuschung

Irgendwann in diesem Krimi, als keinem Amtsträger der katholischen Kirche mehr zu trauen ist, als immer mehr kinderpornographisches Material auftaucht, irgendwann wird es Falke zuviel.

„Ich verstehe es nicht!“, schreit der, „Tatort“-Ermittler in den Kirchenraum hinein. „Die Menschen kommen zu euch, weil sie glauben wollen. Der ganze Scheiß hier von Buße und Ablass: Es geht doch immer nur um Macht! Das hat sich doch irgendjemand ausgedacht!“

Was für ein aufrüttelnder Primetime-Krimi zum ersten Advent. Und treffender kann ein Titel nicht sein: „Schweigen“. Der „Tatort“ (1.12., ARD, 20:15 Uhr), gedreht in der ehemaligen Abtei Mariawald und der dortigen Kirche, sticht aus der Krimireihe hervor.

Ich spreche nicht von der Mafia, sondern von der katholischen Kirche.

Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) im „Tatort – Schweigen“

Erstmals befasst sich die Serie mit dem massiven und systematischen Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche und greift damit ein aktuelles Thema auf, das nicht nur bei Schauspielern, Crew und Statisten viel Gesprächsbedarf verursacht und emotional aufgewühlt hat, sondern auch Zuschauern einen unruhigen Abend bescheren dürfte.

Dabei beginnt es besinnlich. Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) ganz kontemplativ bei der Gartenarbeit in der Pfarrei St. Joseph. Der Bundespolizist verbringt nach dem Tod seiner Kollegin Grosz eine Auszeit im abgelegenen Kloster, als der Pastor der Gemeinde, Pfarrer Otto, bei einem Brand ums Leben kommt.

Falke (Wotan Wilke Möhring) möchte seinen neu gewonnenen Freund Daniel schützen.

© NDR/Kai Schulz

In dessen Nachlass findet sich kinderpornografisches Material, was Falke und seine Kollegin vor Ort, Eve Pötter (Lena Lauzemis), in dem Verdacht bestätigt, dass der Brand absichtlich gelegt worden sein könnte.

Schnell wird klar, dass die Schar der Verdächtigen diesmal sehr unübersichtlich wird. Im Grunde all jene (und ihre Angehörigen), die 1989 bei einer Messdienerfreizeit des Pfarrers Otto dabei waren….

Vor allem Daniel Weinert (grandios: Florian Lukas), mit dem sich Falke in der Pfarrei angefreundet hat. Aber auch der Domvikar Billing (Sebastian Blomberg) und sogar der Bischof, die sich schwer zu tun scheinen, mit der Verantwortung, dem Vertrauen umzugehen, das ihnen die Gläubigen entgegengebracht haben, um es mal ganz vorsichtig auszudrücken.

Die fiktive Geschichte hat laut Drehbuchautor Stefan Dähnert viele Anknüpfungspunkte in der Realität, die über den eigentlichen Missbrauch auch die Themen Aufarbeitung, Vertuschung und Verdrängung, Wiederholung sowie Glaubenskonflikte und die Frage nach Rache- und Schuldgefühlen aufwirft. Dazu sei ein aktueller Fall gekommen, der derzeit bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken anhängig ist. 

Ein aktueller Fall als Blaupause fürs Drehbuch

Dieser sei die Blaupause für das Drehbuch gewesen, so Dähnert. „Ich habe bei der Staatsanwaltschaft nachgefragt: Wenn wir behaupten, es hat in der Katholischen Kirche einen Pädophilen-Ring gegeben, kriegen wir dann Ärger? Die Antwort lautete: nein. Leider ist sehr viel wahr an unserer Geschichte.“

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Was haben die Vorwürfe, die seit Jahren im Raum stehen, also mit der katholischen Kirche gemacht? Immerhin, es durfte schon mal in einer Kirche gedreht werden. „Ich betrachte die Zusage als Zeichen der katholischen Kirche, sich der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels nicht in den Weg stellen zu wollen“, sagt Regisseur Lars Kraume im NDR-Interview zum Film.

Er verstehe den Film als Teil zur Debatte, dass großes Unrecht noch nicht ausgeräumt sei und man weiter im Blick behalten müsse, dass Kinder den sexuellen Übergriffen von Erwachsenen ausgesetzt sind.

„Die Geschichte ist leider sehr nah an der Wirklichkeit“

Auch „Tatort“-Ermittler Wotan Wilke Möhring äußerte Respekt für die Bereitstellung der Kirche als Drehort und sieht diese als wichtigen Beitrag: „Die Geschichte ist leider sehr nah an der Wirklichkeit“, sagt der Schauspieler, der den Film als „emotional herausfordernd und mutig“ bezeichnet.

Am Ende dieses herausragenden „Tatort“, der den Abgang von Falkes Kollegin Grosz (Franziska Weisz) kongenial verarbeitet hat, geht der Blick der Kamera von oben. Wer sieht zu? Wer lässt es zu?

Und ganz am Ende, im Abspann des TV-Krimis ein Insert, das zeigt, dass es offenbar noch nicht zu Ende ist. „Wer von sexueller Gewalt betroffen ist, einen Verdacht hat oder sich unsicher ist und Fragen zum Thema stellen möchte, kann sich vertrauensvoll an folgende Stelle richten: hilfe-portal-missbrauch.de.“