Er machte das schwarze Kino radikal

Der „Renaissance Man“ ist ein weißes Konzept, auch wenn die vom New Yorker Stadtteil Harlem ausgehende Bewegung afroamerikanischer Schriftstellerinnen und Künstler in den 1920er-Jahren ebenfalls mit dem eurozentrischen Label versehen wurde. Melvin van Peebles konnte mit der Bezeichnung und dem dazu gehörigen Geniekult nie viel anfangen. Sprach man ihn auf seine zahlreichen Meriten an, entgegnete er meist knapp, dass er damals aus eigenem Antrieb tätig werden musste, weil man ihm als Schwarzen in Amerika nie etwas geschenkt habe.

Auch das gehörte zum Mythos um seine Person, an dem er selbst mitstrickte. Melvin van Peebles blieb wie seine berühmte Figur Sweetback aus dem Film „Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“ – ein Zuhälter, der nach dem Mord an einem rassistischen Polizisten seine Wandlung zum politischen Aktivisten vollzieht – bis zum Schluss angriffslustig. Und immer in Bewegung. (Noch in seinen Achtzigern joggte er nach eigener Auskunft jeden Morgen) Am Dienstag starb der Schriftsteller, Broadway-Produzent, Schauspieler, Musiker, Maler, Air-Force-Navigator, Börsen-Entrepreneur und – last but not least – Erfinder des „Black Cinema“ im Alter von 89 Jahren in New York.

Der unabhängig produzierte „Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“ war 1971, parallel zur Entwicklung des New Hollywood, eine Offenbarung: ein filmischer Free Jazz mit den Mitteln des Avantgardekinos. Van Peebles hatte im Jahr zuvor bereits für das Studio Columbia die handzahme Satire „Watermelon Man“ (über einen durchschnittlichen Angestellten, der eines Morgens als Schwarzer aufwacht) gedreht. Einen Film über einen Polizistenmörder wollte ihm dagegen niemand finanzieren – also zog er „Sweetback“ allein durch. Gewidmet war sein Film allen „Brothers and Sisters who have had enough of the Man!“ Zeitweise verdrängte er sogar die Schmonzette „Love Story“ von der Spitze der Kinocharts.

Auf einmal war schwarzes Kino „hip“, Ernest Tidymans Privatdetektiv John Shaft wurde kurzfristig doch mit Richard Roundtree besetzt. „Sweetback“ markierte den Beginn der kommerziell erfolgreichen „Blaxploitation“-Welle, mit der Van Peebles allerdings nicht in einen Top geworfen werden wollte. Filme wie „Shaft“ und „Superfly“ adressierten ein weißes Publikum, Sweetback aber war ein Revolutionär – politisiert nicht durch Marx, sondern durch die Straße, wie Van Peebles in seinen launigen (und manchmal launischen) Interviews gerne betonte.

Künstler und Unternehmer

Über die Kämpfe der Vergangenheit sprach Van Peebles vor allem dann, wenn es um ihn ging. Für die Kämpfe der Gegenwart ließ er sich hingegen auch nicht vereinnahmen. Doch für die erste Generation des „New Black Cinema“ – Spike Lee, John Singleton, sein Sohn Mario – blieb er in den Achtzigern und Neunzigern eine prägende Figur. Auch wenn er nur noch selten Regie führte, zumindest im Kino.

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Im selben Jahr wie „Sweetback“ produzierte Van Peebles am Broadway die Nummernrevue „Ain’t Supposed to Die a Natural Death“, die auf seinem gleichnamigen Spoken-Word-Album (eine Art Proto-Hip-Hop) basierte: Geschichten von der Straße, erzählt von Junkies und Prostituierten. Seinen zweiten Broadway-Erfolg „Don’t Play Us Cheap“ verfilmte er 1972 selbst. In Gemeinschaftsproduktion mit Mario sollte „Ain’t Supposed to Die a Natural Death“ im kommenden Jahr ein Comeback erlebe

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Melvin van Peebles, das macht ihn im Zeitalter von Beyoncé, Jay-Z und Kanye West zu einer so außergewöhnlichen Persönlichkeit, verstand sich nicht nur als Künstler, sondern schon als Unternehmer. Von Columbia trennte er sich in den frühen Siebzigern, weil er unabhängig bleiben wollte. Im Buch „ Bold Money: How to Get Rich in the Options Market” von 1986 teilt er seine Erfahrungen als einer von wenigen Afroamerikanern an der Börse.

Anders als seine Figur Sweetback, für den das weiße Establishment nur die „schwarzen“ Rollenmodelle des Hustlers und Kriminellen kannte, wollte Van Peebles das Kapital zu seinen Bedingungen arbeiten lassen. Diese Folklore klingt nur zu gut, aber er war eben auch ein guter Geschichtenerzähler. Sein ereignisreiches Leben war romantauglich.

Und so wurde Van Peebles in den vergangenen Jahren tatsächlich noch Nutznießer seiner Pionierleistungen, nicht nur für das Kino. 2014 nahm er mit der Londoner Band The Heliocentrics ein neues Album auf, es gab diverse Werkschauen – in Kinematheken und Galerien. Seinen Stern auf Hollywoods „Walk of Fame“ hat er zu Lebzeiten zwar nicht erhalten. In die ganz große Ruhmeshalle ist Melvin van Peebles nun aber schon mal eingezogen.