Einer für alle, alle für einen
Christoph Eschenbach beginnt seine finale Saison als Chefdirigent des Konzerthausorchesters mit einem Abschiedsstück: Die „Vier letzten Lieder“ sind das opus ultimum von Richard Strauss, komponiert ab 1947 im Angesicht der Schrecken des Zweiten Weltkrieges. 1998 hat Eschenbach den Zyklus zusammen mit Renée Fleming auf CD eingespielt, jetzt, im Herbst ihrer Karriere, ist die vielgeliebte US-Sopranistin noch einmal nach Berlin gekommen, um die von Melancholie durchzogenen Melodien mit Eschenbach darzubieten.
Optisch in eine goldbronzene Paillettenrobe gehüllt, wird Renée Fleming auch akustisch liebevoll umfangen vom Konzerthausorchester. Und sie lässt es geschehen, gliedert sich ein in dem üppigen Wohlklang, zeigt Mut zur Fragilität, wird zu einer Stimme unter vielen, ja überlässt es im dritten Lied „Beim Schlafengehen“ sogar Konzertmeisterin Sayako Kusaka, mit der schönsten, nobelsten Kantilene zu prunken.
Für solche Abende gehen Menschen zu Live-Konzerten
Und dann folgt eine fantastische Aufführung von Mahlers Fünfter: Für solche Interpretationen gehen Leute in Live- Konzerte! Vielleicht ist bei den berühmten Aufnahmen </SB><SB190,65,140>manches Detail feiner ausbalanciert zu hören, aber das hier ist der gelebte Moment, ohne Netz, doppelten Boden und helfende Tontechnikerhände. Vor den Augen der Zuschauer:innen wird hart gearbeitet, wie in einer offenen Restaurantküche, hochkonzentriert, ernsthaft, im Schweiße des Angesichts. Bewegend, mit welcher Hingabe die Cellogruppe in der Mitte des zweiten Satzes ihre endlose Melodie singt.
Eschenbach wirft seine ganze Lebenserfahrung in die Waagschale
Alle Beteiligten sind bereit an ihre Grenzen zu gehen, bei dieser Partitur, in der sich ständig Abgründe auftun, in der die Musik von einem emotionalen Ausnahmezustand in den nächsten taumelt, widerstreitende atmosphärische Ebenen sich überlagern wie Doppelbelichtungen im Film. Das Orchester sagt so auch „Danke“ für die erfüllenden Jahre seit 2019, Eschenbach wirft seine Lebenserfahrung in die Waagschale, gesammelt in 50 Jahren als Dirigent und 82 Jahren als Mensch. So kann das kitschverdächtige Adagietto zum atmenden Organismus werden, dessen authentische Intensität den Saal schier in Trance versetzt, so werden im Rondo-Finale die letzten Reserven mobilisiert, hält die Spannung bis zum triumphalen Schluss.