Digital-Drama „Gläserne Gedanken“: Verschwörung im Kopf
Für optisch und haptisch ansprechende Bücher ist der Züricher Traditionsverlag Edition Moderne schon lange bekannt. Kürzlich ist eines hinzugekommen, welches zudem ein formales Experiment ist. Nimmt man das Buch in die Hand, denkt man zunächst an Strips im Querformat.
Aber weit gefehlt: Bei „Gläserne Gedanken“ (640 S., 19 €), dem aktuellen Buch von Matthias Gnehm („Salzhunger“), hält man den Buchrücken nach oben und scrollt quasi durch die Seiten, als ob man auf dem Handy liest. Das ist mit der digitalen Fassung des Comics, die gratis hier lesbar ist, auch möglich.
Das ungewöhnliche Format erlaubt nicht nur besondere Perspektiven auf Straßen, Gebäude und die Bewegungen der Akteure, sondern passt auch kongenial zur Geschichte eines Schriftstellers, der nicht schreibt, sondern seinen Gedankenstrom aufzeichnet – sozusagen in Vollendung der literarischen Experimente von James Joyce und anderen.
Gnehms schwarz-weiß-graue, teilweise wie rasch hingeworfen wirkende Zeichnungen sind im Kontrast zur „modernen“ Gestaltung des Buches auffällig klassisch bis altmodisch. Doch sie schaffen eine düstere, verwaschene Atmosphäre, die nun wiederum zum Sujet des Buches passt.
Denn Markus, der Protagonist, schlittert im Verlauf der packenden Geschichte nicht nur in eine Ehe- und Schaffenskrise, sondern auch noch in eine mögliche Verschwörung. Wer schon einmal gedacht hat, dass eines Tages Historiker den Untergang der westlichen Gesellschaften auf die Digitalisierung – und insbesondere auf die digitale Kommunikation – zurückführen werden, wird sich hier zumindest phasenweise bestätigt fühlen.
Gleiches gilt für jeden, der den Datenkraken und -dieben der großen Internetkonzerne misstraut. Aber den Kulturpessimisten sei gesagt: Noch ist nicht alles verloren! Jedenfalls nicht in Gnehms Buch. Wer sich auf dessen Fabulier- und Zeichenkunst einlässt, wird reich belohnt.
Zur Startseite