Die Geschichte hinter dem Bild: Harry Hachmeister: ohne Titel (mit roter Jacke)

Harry Hachmeister studierte von 1999 bis 2007 an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst in der Klasse für künstlerische Fotografie von Timm Rautert, seit 2005 als dessen Meisterschüler. Inzwischen arbeitet er in diversen Medien, von Malerei auf Leinwand oder Glas, über raumgreifende Installationen bis hin zu experimenteller Keramik.

Immer wieder geht es ihm dabei um die Konstruktion von Rollen- und Körperbildern, in denen er Konventionen und Erosionen des Normativen verhandelt. Dabei besitzt sein Werk häufig humoristisch-melancholische Züge und lässt sich, einzelne Werkgruppen übergreifend, als zusammenhängendes Narrativ verstehen – einer thematisch verbundenen Serie mit mehreren Staffeln vergleichbar, in denen einzelne Episoden aufeinanderfolgen.

Zwänge der Zuweisung zu einem Geschlecht

Seit dem Studium thematisiert Hachmeister die Biografie seines Ichs – 2005, als dieses fotografische Selbstbildnis mit roter Jacke noch im Studienkontext entsteht, firmiert er sein Werk noch als Grit Hachmeister. Der Inszenierung unterliegt die Frage nach dem (selbst-)konstruierten Geschlecht, nach den Möglichkeiten und Zwängen der Zuweisung des Körpers zum Männlichen und/oder Weiblichen.

Hachmeister geht es dabei nicht um Möglichkeiten der Idealisierung und Formatierung des Selbst, seine Bildnisse sind vielmehr Momente von großer Lebendigkeit und veristischer Prägung, die er mit großer Ehrlichkeit vorträgt. Hier changiert das jugendlich anmutende Ich des Künstlers in der Körperhaltung und -sprache.

Verhalten und schüchtern

Die Beine sind übereinandergeschlagen, womit sich eine gewisse Verhaltenheit, ja das schüchtern-verletzliche Zurückhalten eines introvertierten Charakters andeutet. Zugleich wird aber ein Bemühen um Nähe und Kontakt spürbar.

Hachmeister schaut frontal und unverblümt aus hellen, fast stechenden Augen in die Kamera. Lippenstift akzentuiert einen ernsthaft geschlossenen Mund. Dabei sitzt er nicht zugeknöpft, hat die Arme nicht verschränkt, sondern lässt diese neben dem Körper auf der Sitzfläche ruhen.

Die Vielzahl und Komplexität der Regungen machen dieses Bildnis letztlich so sprechend und so glaubwürdig, sie lassen das Suchende der Figur in prononcierter Distanz zu konventionellen Bild- und Körperstrategien treten, wie wir sie aus den omnipräsenten Kontexten des Influencing, der Werbung oder der Fitnessästhetik gewohnt sind.

Deshalb trägt dieses Porträtfoto auch keinen der Identifizierung dienenden Bildtitel. Hachmeister versteht es, in jener eigenwilligen Mischung aus Distanz und Unmittelbarkeit die eigene Persönlichkeit mitzuteilen, ohne sie dabei zur Schau stellen zu müssen.

Stefan Weppelmann ist Direktor des Museums der bildenden Künste Leipzig.