Der Reiz der Verwüstung: Die zweite Staffel „House of the Dragon“ startet
Wofür all das Grauen? Doch wohl nicht nur für die Krone, beschwört eine Kriegsparteiführerin die andere. Doch wohl nicht nur für die Quote, hofft der Zuschauer.
Am Ende der Auftaktfolge zur zweiten Staffel der Serie „House of the Dragon“ steht ein Tabubruch. Gewalt gegen Frauen und Kinder sollte im Spinoff nicht mehr so explizit gezeigt werden wie in der Mutterserie „Game of Thrones“, das hatten die Produzenten nach einiger Kritik im Vorfeld proklamiert. Sie halten sich daran und zeigen das Verbrechen nicht – stattdessen lassen sie hören, wie das Messer im Kinderzimmer durch Fleisch und Knochen fährt, hin und her, immer wieder.
Ohne Rücksicht auf die Betroffenen wird die Gräueltat sogleich für eine klare Botschaft instrumentalisiert: Monster, die zu einer solchen Tat fähig sind, müssen vernichtet werden. Ein Krieg ist unvermeidbar.
Schon in der ersten Staffel gab es so manchen mutmaßlichen Verweis auf die Gegenwart, den schockierendsten fügten die Autoren um den Showrunner Ryan Condal der literarischen Vorlage von George R. R. Martin selbst hinzu. Während in den USA, Polen und anderen Ländern Abtreibungsverbote verschärft wurden, zeigten die Serienmacher, wie in Westeros ebenfalls ungeborenes Leben dem einer hilflosen Mutter kompromisslos und mit aktiver Mithilfe von Männern übergeordnet wird.
Die neue Horrorshow im Kinderzimmer findet sich auch in Martins fiktivem Geschichtsbuch „Feuer und Blut“. Die Entscheidung allerdings, sie in die Serie überführen und auf diese Weise zu inszenieren, ist nach dem 7. Oktober eine kreative Gratwanderung, die in einer Mainstream-Fantasyerzählung dieser Größenordnung mindestens einen faden Beigeschmack hinterlässt.
Emotionaler Neustart
Andere Schwächen der neuen Staffel sind unverfänglicher. Zum Beispiel, dass ein Großteil der ersten vier Folgen, die der Presse vorab zur Verfügung gestellt wurden, in spärlich beleuchteten Festungen stattfindet, wo an Steintafeln über das Schicksal von Charakteren beraten wird, die auch Fans (und nur solche schalten die zweite Staffel eines Prequels ein) kaum noch präsent sein dürften – und das nicht nur, weil die Veröffentlichung der ersten Staffel bereits zwei Jahre zurückliegt.
Zur Erinnerung: In der ersten Staffel brach in der Familie Targaryen, deren Mitglieder einen Hang zum Wahnsinn und keine Scheu vor Inzest haben, Streit um die Thronfolge aus. Nachdem der amtierende König Viserys (Paddy Considine) längst die skandalträchtige Entscheidung getroffen hatte, seine Tochter (!) Rhaenyra als seine Nachfolgerin auszurufen, interpretierte deren langjährige beste Freundin und kurzzeitige Stiefmutter Alicent (Olivia Cooke) schließlich das Gemurmel des Herrschers auf seinem Sterbebett als Sinneswandel. Kaum verwitwet, installierte sie ihren Sohn Aegon auf dem Eisernen Thron und hinterließ Rhaenyra (Emma D’Arcy), mittlerweile mit ihrem Onkel Daemon (Matt Smith) verheiratet, als Gegenkönigin im Exil.
Diese Vorgeschichte des zentralen Konflikts, der bekanntlich zum Niedergang des Hauses Targaryen führen wird und nun endgültig ausbricht, umfasste knapp zwei Jahrzehnte. Schauspieler wurden ausgetauscht und Zeitsprünge überhastet, Namen wie Daemon, Aegon, Aemond, Rhaenyra, Rhaenys und Rhaena helfen dem Gedächtnis nicht gerade auf die Sprünge. Emotional muss man als Zuschauer jetzt noch mal von vorne anfangen. Zudem leidet „House of the Dragon“ im unvermeidbaren Qualitätsvergleich weiterhin mindestens so sehr unter dem Erbe von „Game of Thrones“, wie es aufmerksamkeitsökonomisch davon profitiert.
Lebende Atombomben
Während es in der Ursprungsserie meisterhaft gelang, eine große universelle Geschichte über Machtverhältnisse als brutale Soap-Opera zu erzählen, bleiben die Machtlosen in „House of the Dragon“ überwiegend unsichtbar. Die Adeligen ziehen ihre Ego-Nummern durch; hier gibt es keine Arya, die Strukturen zerschlagen will, unter denen die kleinen Leute leiden, keine Whitewalker als das personifizierte Böse, das es gemeinsam zu besiegen gilt.
Stattdessen: Drachen. Und wahrscheinlich war es keine schlechte Entscheidung, das Produktionsbudget in die CGI-Kreaturen anstatt in Außenmotive und große Schlachten zu investieren. Die majestätischen Biester bilden weiterhin das Rückgrat der Handlung, als lebende Äquivalente von Atombomben, deren Existenz die ganze Welt verändert. Und die außerdem ein rührendes Verhältnis zu dem einen Menschen pflegen, der auf ihrem Rücken Platz nehmen darf.
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Zwar gibt es auch ein paar starke drachenlose Szenen in diesen ersten vier Folgen. Eine Rangelei zwischen Teenagern zum Beispiel, die mit einem Schnitt zum Kriegsschauplatz wird, über dem die Raben kreisen. Oder ein Schwertkampf zwischen Zwillingen, die einander für die austauschbaren Motive ihrer Herrscher töten sollen.
Doch erst wenn die Drachen in Richtung Feind fliegen, sich ineinander verbeißen, Wälder und Menschen sensationell in Asche verwandeln, dann ist man endgültig ertappt, im Sinne von François Truffaut: „Sowas wie einen Anti-Kriegsfilm gibt es nicht“. Zumindest dafür, all das Grauen.