„Das könnte das Endspiel sein“: Das DFB-Team und das schwerstmögliche Viertelfinale

Bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft waren sie peinlichst darauf bedacht, die Etikette zu wahren. Natürlich kamen nach dem Einzug ins Viertelfinale der Europameisterschaft umgehend die Fragen nach Spanien, nach dem wahrscheinlichen Gegner im nächsten Spiel der K.-o.-Runde. Beantworten wollten die Deutschen diese Fragen aber noch nicht. Nicht, solange die Spanier ihr Achtelfinale gegen Georgien noch nicht gewonnen hatten.

Insgeheim war allen natürlich längst klar, dass es Spanien werden würde, die Mannschaft also, die beim Turnier in Deutschland den bisher nachhaltigsten Eindruck hinterlassen hat. Man war geneigt, das auch aus der Nachricht herauszulesen, die der Deutsche Fußball-Bund am Sonntagnachmittag verbreitete, viele Stunden vor dem Einzug der Spanier ins Viertelfinale durch einen letztlich souveränen 4:1-Erfolg gegen den krassen Außenseiter Georgien.

Joshua Kimmich und David Raum, so teilte der DFB mit, würden tags darauf in Herzogenaurach zur Pressekonferenz der Nationalmannschaft erscheinen, die beiden Außenverteidiger des Teams. Mit Blick auf das anstehende Duell mit Spanien am Freitag in Stuttgart (18 Uhr) war das jedenfalls eine exzellente Wahl.

Denn auf Kimmich und Raum wird am Freitag aller Wahrscheinlichkeit nach eine Menge Arbeit zukommen. Man könnte sogar sagen: Das Weiterkommen der Nationalmannschaft liegt zu nicht unerheblichen Teilen in ihrer Verantwortung.

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Spiele haben die Spanier bisher bei der EM bestritten. Als einziges Team haben sie alle vier gewonnen.

Deutschlands Außenverteidigung wird sich in Stuttgart mit der bisher spektakulärsten Flügelzange des Turniers konfrontiert sehen: mit Nico Williams, 21 Jahre alt und bei Athletic Bilbao angestellt, auf der linken spanischen Angriffsseite und mit dem erst 16 Jahre alten Wunderkind Lamine Yamal vom FC Barcelona auf rechts. Nach dem Sieg gegen die Georgier bejubelte die spanische Sportzeitung „Marca“ „ein weiteres Festival des teuflischen Paars“.

Wer denn die bessere Flügelzange habe, ist Dani Olmo, der spanische Offensivspieler von Rasenballsport Leipzig, nach dem Spiel gegen Georgien gefragt worden: Deutschland mit Wirtz und Musiala oder Spanien mit Williams und Yamal? Olmo schaute fast ein bisschen irritiert und nannte dann natürlich seine Teamkollegen. „Sie sind wirklich gut“, sagte er. „Für uns ist es gut, dass sie so spielen.“

Ich glaube, dass wir die beste Mannschaft und die besten Spieler der Welt haben. Wir müssen von unseren Möglichkeiten überzeugt sein. Das sind wir.

Spaniens Nationaltrainer Luis de la Fuente

Bei der EM in Deutschland ist viel von der Renaissance der spanischen Mannschaft die Rede. Zwischen 2008 und 2012 hat Spanien als unerbittlicher Tyrann den Weltfußball dominiert. Jetzt, nach einigen Jahren sportlicher Dürre, meldet eine neue Generation ihren Herrschaftsanspruch an. Was das aktuelle Team von seinen historischen Vorgängern und deren Tiki-Taka-Fußball unterscheidet, ist unter anderem das Spiel über die Flügel.

Spieler wie Williams und Yamal hat Spanien in den Jahren 2008 ff. nicht gehabt: klassische Flügelstürmer, die an der Seitenlinie ins Dribbling gehen und den Ball sogar in den Strafraum flanken. Beim alten Spanien standen Flanken auf dem Index. Man kombinierte sich mit Pässen im Überfluss ans Ziel, und irgendwann kombinierte man sich auf diese Weise zu Tode.

Aber Spanien lebt wieder. Die alte Ballsicherheit ist weiterhin vorhanden. Zugleich aber ist das Spiel um neue Elemente bereichert worden: Wucht und Zielstrebigkeit gehören jetzt auch zum Repertoire.

Das Duell der Giganten

Gegen die Georgier, die nach ihrem 1:0 kurz von der größten fußballerischen Sensation des dritten Jahrtausends träumten, hatten die Spanier am Ende 75 Prozent Ballbesitz. Die Passquote lag bei 94 Prozent, und mit 35 Torschüssen stellte das Team einen neuen Rekord für das Turnier in Deutschland auf.

Das Duell der Spanier mit dem Gastgeber am Freitag ist nun aus vielerlei Hinsicht ein Duell der Giganten:

  • In Stuttgart treffen die beiden Rekordeuropameister aufeinander. Je dreimal haben Spanien und Deutschland den Titel gewonnen.
  • Es ist auch das Duell der beiden Mannschaften, für die das Unternehmen Goalimpact vor dem Turnier anhand statistischer Daten die größte Wahrscheinlichkeit errechnet hat, dass sie Europameister werden. Bei Spanien lag sie bei 23,2 Prozent, bei Deutschland immerhin bei 17,5.
  • Und es ist das Aufeinandertreffen der beiden offensivstärksten Mannschaften des Turniers. Das DFB-Team hat in vier Begegnungen zehn Treffer erzielt. Spanien kommt auf neun.

„Es könnte ein Finale sein“, hat Luis de Fuente, Spaniens Trainer, über das Duell mit dem EM-Gastgeber gesagt, „nicht nur das einer Europameisterschaft, sondern auch das einer Weltmeisterschaft.“

Die Deutschen werden es mit einem Gegner zu tun bekommen, dessen ohnehin ausgeprägtes Selbstvertrauen während des Turniers sogar noch gewachsen ist. Die Spanier sind das einzige Team, das bisher alle vier Spiele der EM gewonnen hat. „Ich glaube, dass wir die beste Mannschaft und die besten Spieler der Welt haben“, sagte de la Fuente. „Wir müssen von unseren Möglichkeiten überzeugt sein. Das sind wir.“

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Spaniens Mittelfeldstratege Rodri glaubt, dass die Deutschen „nicht so glücklich sind, jetzt auf uns zu treffen“. Umgekehrt aber gäbe es sicher auch Angenehmeres, als schon im Viertelfinale gegen den Gastgeber spielen zu müssen.

Gegen eine Mannschaft, die nach zuletzt eher mühseligen Jahren ebenfalls wieder deutlich im Aufschwung ist. „Das haben sie verdient, dass sie langsam die alte Festplatte gelöscht kriegen und wissen, wie gut sie sind“, hat Bundestrainer Julian Nagelsmann nach dem Sieg gegen Dänemark im Achtelfinale über seine Spieler gesagt.

Nagelsmann gilt als jemand, der in der Lage ist, die Schwächen eines Gegners haarklein zu sezieren und daraus eine passende Strategie für das eigene Spiel zu entwickeln. Auch die Spanier sind nicht unverwundbar. Gegen Georgien verloren sie vor dem gegnerischen Strafraum einige Bälle. Hinter der weit aufgerückten Verteidigung liegt in solchen Fällen viel Raum brach, den es schnell und zielstrebig anzusteuern gilt. Das deutsche Team sollte dazu durchaus in der Lage sein.

„Wir brauchen uns vor niemandem zu verstecken und dürfen selbstbewusst die nächsten Spiele angehen“, hat Deutschlands Mittelstürmer Niclas Füllkrug nach dem Einzug ins Viertelfinale gesagt. Er hat explizit von den nächsten Spielen gesprochen. Nicht vom nächsten Spiel.