Bulgakows Meister und Putins Moskau: Diktatur-kritischer Film ist Kinohit in Russland
Der Regisseur nennt es ein Wunder, andere sprechen von schwarzer Magie. In der Tat grenzt es ans Mirakulöse, dass Michael Lockshins Verfilmung des Bulgakow-Klassikers „Meister und Margarita“ Ende Januar in die russischen Kinos kam, im Nu zum Boxoffice-Hit wurde und bis heute dort läuft. Moskauer Kinos zeigten den Film bis zu zehn Mal am Tag, Gesamteinspiel bisher: rund 20 Millionen Dollar.
Erstaunlich ist das schon deshalb, weil Lockshin, der 1986 als Kind kommunistischer Eltern aus den USA in die Sowjetunion einwanderte, ein erklärter Gegner der Ukraine-Invasion ist. Der Film wurde 2021 gedreht, mit Kriegsbeginn ging der Regisseur in die USA zurück. Seit dem Riesenerfolg seines politischen Fantasy-Movies erklärten russische Propagandisten ihn zum Terroristen; dem „Guardian“ berichtete er von Todesdrohungen.
Was wohl auch damit zu tun hat, dass sein Film offenbar unmissverständlich auf Putins Regime anspielt. Schon dem Trailer ist anzusehen, dass jenes vom Teufel persönlich (August Diehl) aufgesuchte und zur Strafe niedergebrannte Moskau eine Stadt der Moderne ist. In der Zensur-kritischen Stalinismus-Satire kann das Publikum den heutigen totalitaristischen Putin-Apparat und seine Repressalien mühelos wiedererkennen.
So trägt etwa der „Meister“ im Film die Gesichtszüge des (übrigens aus Kiew stammenden) unter Stalin schikanierten Bulgakow. Im Film wie in der Realität werden Künstler und Intellektuelle weggesperrt und ermordet. Mikhail Zygar, Chefredakteur des inzwischen im Exil tätigen unabhängigen TV-Senders Doschd, benennt in der „NZZ“ zudem die Ähnlichkeiten zwischen den Hetzkampagnen gegen Bulgakows Theaterstücke und Lockshins freie Adaption des Romans, den Bulgakow kurz vor seinem Tod 1940 fertigstellte.
Sogar der Mitte Februar im sibirischen Straflager zu Tode gekommene Oppositionelle Alexej Nawalny findet seine Entsprechung: in der Jesus-Figur, die in der Pilates-Episode des Buchs wie des Films hingerichtet wird. Nawalnys Unerschrockenheit, seine innere Freiheit, wegen der seine Anhänger ihn mit Christus vergleichen: auch das eine frappierende Parallele, wie Michael Lockshin im „Guardian“ bestätigt.
Ein Grund dafür, dass sein Film bis heute nicht verboten ist, mag das für russische Verhältnisse exorbitante 17-Millionen-Dollar-Budget des mit staatlichen Geldern realisierten Blockbusters sein. Hinzu kommen der Kultstatus des Romans und die Angst vor Unruhen vor den baldigen Wahlen.
Zu gerne würde man „Meister und Margarita“ jetzt sehen. Wegen des Russland-Boykotts wird vorerst aber wohl kein internationaler Verleih und kein Festival dies möglich machen.
Christiane Peitz schreibt in dieser Kolumne regelmäßig über Freiheitsrechte und Zensur.