Billighähnchen hat einen Preis
Erst der Stall für 2000 Zicklein, dann der Stall für 20 000 Masthähnchen. Schwer zu sagen, was auf dem Hof von Pierre Jarjeau schneller wächst: die Gebäude oder die Schulden.
Als Pierre (Guillaume Canet) 1979 jung und tatkräftig in sommergoldenen Rückblenden den Hof von seinem knorrigen Vater Jacques (Rufus) übernimmt, scheint er sich ein Paradies zu kaufen.
Ein malerische Feldsteinhaus, eine ebensolche Scheune, Weizen, der sich im Wind wiegt, freilaufende Hühner, eine Herde robuster Schafe – alles atmet ein menschliches und tierisches Maß, von der Gigantomanie heutiger Agrarindustrie noch keine Spur.
Bauern müssen heute Unternehmer sein
17 Jahre später sieht der zwischen grüne Hügel gebettete Hof „Les Grands Bois“ komplett anders aus: Zwar leben Pierre, seine Frau Claire (Veerle Baetens) und ihre beiden Kinder ein herzliches Familienleben, doch ihr Bauerndasein ist zu einer entfremdeten, technisierten Tretmühle mit endlosen Abhängigkeiten verkommen. Von der Bank, der Genossenschaft, der Geflügelfirma, der sie – auf eigenes Risiko – die Küken fett mästen, aber weder den selbst angebauten Weizen verfüttern dürfen, noch den Stückpreis verhandeln.
„Heute ist man Unternehmer und muss investieren“, erklärt Pierre seinem unwirschen Vater die neuen Anforderungen dieses neue Bauerntum. Der Altenteiler schüttelt den Kopf. Das werde ja immer besser, schimpft er. „Wir sind nicht mehr als Bauern!“, entgegnet er, was in der Definition des stolzen Patriarchen gleichbedeutend mit freie Bauern ist, die niemandes Schuldknecht sind und stolz auf ihre Erzeugnisse.
„Guck’ dir den Kopf dieses Kükens an“, faucht der Alte den Jüngeren im Stall an, „bist du darauf stolz?“. Die Leute verlangten billiges Fleisch, zuckt Pierre mit den Schultern, wohl wissend, dass das eine Erklärung, aber keine Entschuldigung ist.
[In den Kinos Cinema Paris, Filmkunst 66, Bware!Ladenkino, Hackesche Höfe, Moviemento (auch OmU)]
Der bisher auf Dokumentarfilme spezialisierte französische Filmemacher Edouard Bergeon hat sich für seinen ersten Spielfilm von der eigenen Familiengeschichte inspirieren lassen. „Das Land meines Vaters“ erzählt eine Tragödie, wie sie in Frankreich Alltag ist.
Und nicht nur dort, seit der Strukturwandel der Landwirtschaft Ende der siebziger Jahre in Kombination mit dem kapitalistischen Credo „Wachse oder weiche“ das dramatsiche Höfesterben kleinbäuerlicher Familienbetriebe in ganz Westeuropa einläutete.
„Zur Zeit begeht in Frankreich jeden Tag ein Bauer Selbstmord“, kann man im Abspann lesen.
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Vom Verschwinden der ländlichen Kultur, die auf dem Dorf einst durch die Einheit von Leben und Arbeit auf dem Hof, statt von der Pendlerpauschale geprägt war, nicht zu reden. Trotzdem ist „Das Land meines Vaters“ kein ruppiges Sozialdrama, sondern eine bewegende Familiengeschichte, die von überkommenen patriarchalen Strukturen, wie dem ewigen Gockelkampf zwischen Vater und Sohn erzählt.
Und der mangelnden Solidarität unter Bauern, die auf ihren Schollen den Fehler machen, sich als Einzelkämpfer zu begreifen. Genau das ist es, was Pierre zum Verhängnis wird. Obwohl er seinen Sohn Thomas (Anthony Bajon), den angehenden Jungbauern, zärtlich liebt.