Bilder voller Irritationen: Die Malerei von Jonas Weichsel in der Galerie Thomas Schulte

Zartes Orange wächst neben horizontalem Pink empor, links und rechts wird es von wolkigem Rosa gerahmt, das sich aufzulösen scheint. Flirrende grüne Streifen simulieren Bewegung – man denkt an die Spuren, die ein Druckkopf hinterlässt, wenn er sich hin und her bewegt. Darüber schlägt helles Blau noch weiter zu den Seiten aus, um im oberen Drittel feurig lodernd, in zackigem Violett und kräftigem Blau zu enden.
Bilder voller Irritationen
„Sekunde“ heißt das über zweieinhalb Meter hohe Bild von Jonas Weichsel, das seiner Ausstellung in der Galerie Thomas Schulte zugleich den Titel gibt. Die Sekunde als zeitliches ebenso wie als kompositorisches Intervall, das uns stets begleitet und das wir doch nie zu fassen bekommen. In eine weiß dominierte, nahezu transluzide Zone und eine dichte Partie in komplementärem Rot und Grün ist das Gemälde „Kontakt“ aufgeteilt. In beiden Bereichen begegnen uns erneut verschwommene Strukturen.
Eine hellblaue Fläche möchte unser Auge mit einem See assoziieren — doch wenn der intendiert wäre, würde das Sonnenlicht darunter im Untergrund scheinen. Also wieder eine Irritation, die der 1982 in Darmstadt geborene Maler den Betrachtenden gern mit auf den Weg gibt. Doch der Unschärfe der amorphen Elemente setzt Weichsel eine fulminante, wiewohl subtile Klarheit und Räumlichkeit entgegen, in denen wir dem begegnen, was der französische Philosoph Gaston Bachelard in seiner legendären Theorie über die „Poetik des Raumes“ in den späten 1950er Jahren als „Bilder des glücklichen Raumes“ bezeichnet hat. Im Spannungsfeld von Nähe und Distanz treibt „Kontakt“ die Raumillusion auf eine beeindruckende Spitze.
Das Auge ist ohne Halt
Zwei Millimeter schmale, schnurgerade Vertikalen markieren ein hochformatiges Teilstück, gerade so, als sei es ein Bild im Bild. Verbunden sind die gelbe und die rote Senkrechte von der linken oberen Ecke zur unteren rechten durch eine Diagonale, die aus drei noch schmaleren, schwarzen Linien besteht. Wie hauchfeine Fäden ziehen sich diese durch die Komposition, und der Künstler verleiht ihr eine solche Plastizität, dass sie wie eine Faden-Installation von Fred Sandback wirkt.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Nach dem Studium an der Akademie für Bildende Künste Mainz, das für Weichsel noch ganz im Zeichen der Gegenständlichkeit stand, ging er 2010 an die Kunstakademie Düsseldorf zu Tomma Abts und parallel an die Städelschule in Frankfurt, wo er sein Studium 2012 als Meisterschüler von Judith Hopf beendete.
Mittlerweile hat er zu einer radikalen Gegenstandslosigkeit gefunden, die die menschliche Neigung, in jeder Waagerechten einen Horizont zu entdecken, in jeder Wölbung eine Bergkuppe, konsequent unterminiert. Das Auge findet keinen Halt. Jedoch kann man sich genüsslich in diese Bildwelten fallen lassen, ihre diversen Areale wie beim Freiklettern ohne Seil oder Gurt erkunden und in ihre Tiefen vordringen.
Selbst gebaute Malmaschine
Das einzig konkrete ist der Bildraum. In ihm verwirbeln sich die Farben, drängen vor oder zurück, formen penibel gerade Linien und scharfe Kanten, gehen aufeinander zu, kämpfen gegeneinander oder verbünden sich. Jonas Weichsel druckt die Farbe maschinell, trägt sie mit einer selbst gebauten Malmaschine mechanisch auf und führt den Pinsel, den Quast oder das Palettenmesser ganz klassisch mit der Hand. Zwar hinterlässt der nahe Frankfurt lebende Künstler dezente Spuren, die immer mal wieder auf seinen individuellem Duktus verweisen. Doch die Unterscheidung, wo das Handwerk anfängt und der maschinelle Digitaldruck aufhört, ist nicht mehr auszumachen.
Zweifelhafte Räume
„Der Raum ist ein Zweifel“, schreibt der französische Schriftsteller und Filmemacher Georges Perec in seinem Buch „Träume von Räumen“, das den programmatischsten und wirkmächtigsten Text des großen Experimentators enthält: „Ich muß ihn unaufhörlich abstecken, ihn bezeichnen; er gehört niemals mir, er wird mir nie gegeben, ich muß ihn erobern.“ Jonas Weichsel sondiert ihn mit komplexen und zeitintensiven Herstellungsprozessen, aus denen malerische Collagen von eindrücklicher Wirkkraft entstehen.
Nach den diversen Bearbeitungsstufen werden die Bilder auf Leinwand gedruckt und anschließend manuell mit Acrylfarben übermalt. Wobei auch ihr Ausgangspunkt stets analog ist: aquarellierte Farbstudien, die eingescannt, geprüft und erforscht werden. Bisweilen zieht der Maler sie per Hand über den Scanner und erzeugt Bewegungen und Unschärfen, die an den Rändern verzerrt sind und an Störbilder oder Bildrauschen erinnern.
Anders als Gerhard Richter
Partiell kommen uns da Ähnlichkeiten zu Gerhard Richters Abstraktionen in den Sinn. Doch die, sagt Galerist Thomas Schulte: „sind zufällig in Jonas’ eigenem Bildfindungsprozess entstanden.“ Was an die Verwischungen und Vermalungen des Großmeisters Richter denken lässt, setzt Weichsel in seinen neuesten Arbeiten in systematisierte Farb- und Raumbezüge, die sein künstlerisches Spektrum der letzten fünfzehn Jahre summarisch erweitern. Die Preise seiner Bilder bewegen sich von 7500 bis 50.000 Euro.