Auf hohem Ross
Das letzte deutsche Staatsoberhaupt, das sich seinen Untertanen stolz hoch zu Ross präsentierte, war Kaiser Wilhelm II. Statt aber, wie manche Anhänger sich das gewünscht hatten, seine Truppen bei einer letzten verzweifelteten Reiterattacke anzuführen, zog es der Monarch 1918 vor, einen Zug zu besteigen und sich ins niederländische Exil zu begeben.
Staatslenker im Auto
Seitdem hat die symbolische Bedeutung von Pferden deutlich nachgelassen. Spitzenpolitiker, die heute noch manchmal ein wenig anachronistisch als Staatslenker bezeichnet werden, sind meist im Auto oder Flugzeug unterwegs. Bilder von Präsidenten oder Ministerinnen, die in Limousinen an Amtssitzen vorgefahren werden, gehören zu den Ritualen der Fernsehnachrichten. Sechzehn Jahre lang hat man Angela Merkel so bei der Ausübung ihrer Staatsgeschäfte beobachten können, als schnell vorbeihuschende Silhouette im Fond ihres Dienstwagens. Ob die Bundeskanzlerin überhaupt reiten kann, ist ungewiss.
Aus Etsdorf, einem 400-Seelen-Ort in der Oberpfalz, kommt die überraschende Ankündigung, dass Merkel am Ende ihrer Kanzlerschaft mit einem Reiterstandbild geehrt werden soll. Das lebensgroße, 2,70 Meter hohe und anderthalb Tonnen schwere Monument wird in einer Woche enthüllt. Zu sehen ist die Politikerin auf einer Stute sitzend, sie trägt ihren unvermeidlichen Hosenanzug, die Hände sind zur Merkel-Raute zusammengelegt, dem Sinnbild ihrer bedächtig abwartenden Machtausübung. Fort bewegen könnte die Reiterin sich in dieser Haltung eher nicht, außerdem fehlt das Zaumzeug.
Eine subtile Anspielung auf mangelndes Engagement, etwa in der Klimapolitik, die unter Merkels Ägide nur wenig vorangekommen ist? Der Künstler Wilhelm Koch versteht sich nicht als Satiriker, er spricht von „ernstem Spaß“. Es geht ihm um Realismus und eine Form der Anerkennung. Den Sockel lässt Koch weg, er will die Regierungschefin so „geerdet“ zeigen, wie sie Politik gestaltet habe.
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Seine Skulptur wurde mit Hilfe eines 3D-Druckers aus einem recycelten Leichtbeton hergestellt, einer Technik, die dabei erstmals zum Einsatz kam. Im Etsdorfer Tempel-Museum, vor dem Merkels Abbild platziert werden soll – den Blick gen Osten gerichtet, der Morgensonne entgegen – wird eine Ausstellung zur Kunstgeschichte der Reiterstandbilder eröffnet. Gefeiert werden soll mit Blasmusik und Merkel-Bier aus einer regionalen Brauerei.
Die Aura der Prominenz aus Militär und Adel, die in Parks, auf Verkehrsinseln und Plätzen im Sattel erstarrt über den Köpfen der Menschen throne, sei „eigentlich schon seit Jahrzehnten dahin“, schreibt Till Briegleb in seinem vor kurzem erschienenen Buch „Pferd und Reiter/in“. Die Triumphposen, die nahezu ausschließlich Männer auf diesen Denkmälern einnehmen, sind heutzutage ungeeignet zur politischen Repräsentation, sie wirken lächerlich. Reiterstandbilder entstammen einer militärischen Tradition, in der Herrscher vor allem Feldherrn waren.
Eroberer in Bronze
Die Reiterstatue Marc Aurels in Rom gilt als ältestes vollständig erhaltenes Beispiel der Gattung. Sie stammt aus der Zeit um 165 n. Chr., als der Kaiser Krieg gegen die Parther führte. Später wollte keine Residenzstadt, die etwas auf sich hielt, ohne einen solchen Eroberer in Bronze auskommen. In Berlin reitet Friedrich II. Unter den Linden, in Dresden setzt August der Starke als Goldener Reiter auf dem Neustädter Markt zum Sprung an. Aufmerksamkeit erregten zuletzt Denkmalstürze. In Charlottesville/Virginia wurde das Reiterstandbild von Robert E. Lee vom Sockel geholt. Der Südstaaten-General kämpfte für die Sklaverei, er landete im Depot. Christian Schröder