„Analyse und Arbeit“ bei Hertha BSC: So reagiert Pal Dardai auf das Spektakel von Magdeburg
In einem durch und durch sonderbaren Spiel trugen sich zu Beginn der zweiten Hälfte weitere sonderbare Dinge zu. In der Fankurve von Hertha BSC tauchte urplötzlich ein gutes Dutzend weißer Gestalten auf. Sie trugen Maler-Overalls, formierten sich zu einer Reihe über die gesamte Breite des Blocks und hielten pyrotechnische Fackeln in die Höhe. Goldene Funken sprühten in die Luft.
Goldregen auf den Rängen: Das passte zum Geschehen auf dem Rasen, auf dem es sprühte und funkelte und Tore regnete. Zehn waren es am Ende, leicht ungleich zugunsten des 1. FC Magdeburg verteilt.
Ein Spiel wie das am Samstagmittag vermag das Publikum zu verzücken – und die Trainer in Verzweiflung zu stürzen. Tatsächlich war Pal Dardai während der 90 Minuten einige Male in höchster Erregung an der Seitenlinie zu sehen. Als Herthas Trainer hingegen nach dem Schlusspfiff das spektakulär wilde 4:6 gegen die Magdeburger analysierte, wirkte er schon wieder einigermaßen gefasst.
Im Gegensatz zum entweder berauschten oder ernüchterten Publikum konnte Dardai die Dinge offenbar einigermaßen nüchtern einordnen.
Ende Herbst wollen wir eine richtig starke Mannschaft haben. Das Material ist da.
Pal Dardai, Trainer von Hertha BSC, über seinen Kader
Mit seiner Mannschaft bewegt sich der Ungar in einem durchaus herausfordernden Spannungsfeld: Einerseits ist Hertha als Absteiger aus der Fußball-Bundesliga quasi natürlicher Aufstiegskandidat; andererseits hat Dardai seit dem Beginn der Vorbereitung mit einem unfertigen Kader arbeiten müssen. Die Folgen zeigen sich aktuell in der Tabelle, in der die Berliner schon wieder in der Abstiegszone gelandet sind.
Herthas Trainer hat sich zuletzt auffallend offensiv gegen die aus seiner Sicht überzogenen Erwartungen gewehrt und dabei vor allem die Medien und ihr Gerede vom Aufstieg kritisiert. Aber hinter solchen Attacken steckt bei Dardai immer ein gewisses Kalkül.
Schon vor dem Start der Saison hat er gesagt, dass er Weihnachten in einer tabellarischen Situation sein wolle, die wenigstens noch die Hoffnung auf den Aufstieg zulasse. Ob das gelingt, wird davon abhängen, wie schnell Dardai die vielen neuen Teile zu einem funktionierenden Gebilde zusammenfügen kann. „Ende Herbst wollen wir eine richtig starke Mannschaft haben“, sagte er. „Das Material ist da.“
Seit dem 1. Septemberer hat der Ungar nun zumindest Klarheit, mit welchen Spielern er planen kann. Die Fluktuation in diesem Sommer war immens, Anpassungsschwierigkeiten bleiben da nicht aus. „Neuer Kader, neue Jungs: Sie müssen sich finden“, sagte Dardai. In Magdeburg standen sieben Neuzugänge dieses Sommers in der Startelf.
Die Offensive scheint sich zu finden
Das Spiel lieferte einerseits Indizien, dass alles schneller gehen könnte als erwartet, und andererseits Indizien, dass es deutlich länger dauern könnte als erhofft. Paradoxerweise ist es die Offensive, die schon jetzt mehr als anständig funktioniert.
Nachdem Hertha in den ersten drei Saisonspielen kein einziges Tor erzielt hatte, waren es in den beiden Begegnungen gegen Fürth und Magdeburg gleich neun. „Das war ein Ausrufezeichen“, sagte Fabian Reese, der Hertha in Magdeburg nach 70 Sekunden 1:0 in Führung gebracht hatte. „Langsam finden wir uns. Wir schießen Tore, wir spielen gut vorne.“
Hertha hat für die Offensive erheblich an Qualität hinzugewonnen. Vor allem mit Reese, mit Mittelstürmer Haris Tabakovic, aber auch mit Smail Prevljak, der bisher nur Joker ist und trotzdem schon auf drei Torbeteiligungen (ein Treffer, zwei Assists) kommt. Alle neun Saisontore gehen auf das Konto von Offensivspielern, die erst im Sommer nach Berlin gekommen sind, dazu sechs Vorbereitungen.
„Was gut ist: Wir sehen, dass wir Tore machen können“, sagte Trainer Dardai nach dem 4:6 in Magdeburg. „Aber heute haben wir einen Tick zu viel bekommen.“ Tatsächlich gibt es in der Zweiten Liga nur drei Teams, die mehr Tore erzielt haben als Hertha. Aber eben auch nur eine Mannschaft, die mehr Gegentore kassiert hat.
Dardai kritisierte am Samstag die ungewohnte Naivität seiner Mannschaft. In der Regel steht der Name Dardai für eine gute Ordnung und defensive Stabilität, doch in Magdeburg ließ sich Hertha von der offensiven Wucht des FCM mitreißen. „Beide Mannschaften haben all-in gespielt. Wir sind voll mit aufgesprungen auf den Zug“, sagte Fabian Reese.
Viermal ging Hertha in Führung, viermal glich Magdeburg aus. Trainer Dardai bemängelte die fehlende Kontrolle. „Kein Spieler hat die Verantwortung übernommen“, klagte er. „Absetzen, spielen, den Gegner laufen lassen, Spielkultur reinbringen. Da müssen wir lernen.“
Zudem kritisierte Dardai die Disziplinlosigkeiten seiner Mannschaft, vor allem in der Arbeit nach hinten. Entsprechend kündigte Herthas Trainer für die nahe Zukunft „Analyse und Arbeit“ an.
Der 30 Jahre alte Grieche Andreas Bouchalakis, den Hertha erst unter der Woche verpflichtet hat, könnte mit seiner Erfahrung ein Spieler sein, der den nötigen Lernprozess beschleunigt. Am Samstag wurde er zur Pause als zweiter Sechser eingewechselt. „Was er mit dem Ball macht, hat Hand und Fuß“, sagte Dardai. „Er ist ein intelligenter Fußballer. Er hat sich immer gezeigt, hat keine Angst vor dem Ball. Im Zentrum brauchen wir solche Qualität.“
Bouchalakis könnte tatsächlich ein Schlüsselspieler werden, um die Dysbalance in Herthas Spiel zu beseitigen, um Offensive und Defensive in Gleichklang zu bringen, und damit Dardais Hoffnung auf ein entspanntes Weihnachtsfest am Leben zu erhalten. Herthas Trainer sagte: „Wir haben noch sehr viele Spiele bis Weihnachten.“