Neugier auf die ganze Welt
Was waren das noch für Zeiten, als sich Bundeskanzler Kohl über das Goethe-Institut wegen eines Auftritts der „Biermösl Blosn“ beschwerte! Oder als CSU-Chef Strauß die „düstere Götterdämmerungspalette“ anprangerte, die das Goethe-Institut im Ausland vermittelt!
Zugetragen haben sich beide Vorfälle in grauer Vorzeit, in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals sprach man gerne von „dem“ Goethe-Institut wie von einem Monolithen. Dabei vereinigt die Institution unter ihrem Dach derzeit 145 Auslandsinstitute in 98 Ländern, die sich in weit gespannter Eigenverantwortlichkeit betätigen.
Dialog und Partnerschaft, die Kernbegriffe
Längst hat die Politik begriffen und akzeptiert, dass kaum von „dem“ Institut und einer einheitlichen Konzeption zu sprechen ist; es sei denn, eben das Eigenständige und Unterschiedliche werde als Konzept verstanden. „Dialog“ und „Partnerschaft“ wurden zu Kernbegriffen der Institutsarbeit, das Eingehen auf die Gegebenheiten des jeweiligen Gastlandes zur Richtschnur.
In den 1980er Jahren jedoch war die Furcht bei den Goethanern groß, das Institut solle mittels der jährlichen Geldzuwendungen aus dem Bundeshaushalt politisch diszipliniert werden.
Dazu ist es nie gekommen, jedenfalls nicht im Sinne direkter Einflussnahme. Die Bundesmittel betrugen zuletzt 293 Millionen Euro bei einem – pandemiebedingt verringerten – Gesamthaushalt von 417 Millionen Euro. Dass ein Staat seinen Kulturaustausch von einem unabhängigen Verein besorgen lässt, ist weltweit einmalig; man betrachte nur den strategischen Export, den China mit seinen regierungsgesteuerten, inzwischen weit über 500 „Konfuzius“-Instituten betreibt.
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Wenn das Goethe-Institut sich heute, 70 Jahre nach seiner bescheidenen Gründung, als Schaufenster oder gar Exporteur von Demokratie und Meinungsfreiheit im und ins Ausland versteht, dann mit dem guten Gefühl, ebendies auch im Inneren durchgestanden zu haben.
Die Pluralität, die Offenheit und Meinungsvielfalt, die die Bundesrepublik nach gut sieben Jahrzehnten ihres Bestehens kennzeichnet, bei allen Nebentönen in die eine wie die andere Richtung, sie ist, von außen betrachtet, ein größeres Gut und Vorbild, als sie im Inneren vielfach scheinen will. Dafür spricht das hohe Ansehen gerade in Sachen Demokratie und Freiheit des Individuums, das Deutschland in anderen Ländern genießt. Das ist gewiss nicht Folge von siebzig Jahren Goethe-Instituts-Arbeit, aber sie hat als Ferment daran mitgewirkt.
Begonnen hat der Verein mit Sprachvermittlung
Denn was das Konzept, was der Kern des Goethe-Instituts ist, ließ sich im Laufe der Jahre immer schwerer sagen. Begonnen hat das als Verein begründete und bis auf den heutigen Tag so verfasste Goethe-Institut mit der „Pflege der deutschen Sprache im Ausland“. Das war, sechs Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in dem die deutsche Sprache vorwiegend im Befehlston der Besatzer vernommen worden war, mutig genug.
Im Inland richtete man Zweiginstitute für ausländische Sprachlernwillige in idyllischen Kleinstädten ein, wie um ein heiles Deutschland vorzuführen, das sich doch gerade erst selbst bis auf die Grundmauern ruiniert hatte.
Im Laufe der Zeit kam dann die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland hinzu, und es begann die rege Reisetätigkeit deutscher Schriftsteller, Theaterleute, Filmemacher, kurz: von Kulturleuten aller Arten und Sparten, die von Institut zu Institut und von Land zu Land herumgereicht wurden. Mit einem Mal fanden sie sich in der Rolle von Kulturbotschaftern wieder, obgleich sie daheim doch gerne kritische Distanz markierten.
Pina Bausch und R.W. Fassbinder
Auch diese sanfte Form von Bestechung qua Rollenwechsel gehört zu den Aktivposten, die das Goethe-Institut so reichlich angesammelt hat. Dass sich Künstler wie R.W. Fassbinder, Peter Schneider oder Pina Bausch – oder auch das „Grips“-Theater – auf diese Weise veritable Fangemeinden im Ausland erwarben, sei nur am Rande vermerkt.
Es kam die Zeit, da Willy Brandt Außenminister und bald darauf Bundeskanzler wurde, „mehr Demokratie wagen“ auf die Fahnen schrieb und die Auswärtige Kulturpolitik – das „A“ groß geschrieben – zur „dritten Säule der Außenpolitik“ erhob, neben der klassischen Diplomatie und der im Wirtschaftswunderland so wichtigen Außenwirtschaftspolitik.
In dieser erweiterten Bedeutung lag beschlossen, dass das Goethe-Institut nicht mehr nur mit Lesungen, Vorträgen oder Filmreihen auftreten konnte, sondern einem erweiterten Kulturbegriff – wie er bald genannt wurde – folgen musste, unter Einbeziehung der Interessen und auch Nöte des jeweiligen Gastlandes. Im Rahmenvertrag, den der Bund mit dem Instituts-e.V. 1976 schloss, wurde die „Förderung der internationalen kulturellen Zusammenarbeit“ verankert.
Der Ostblock blieb unerreichbar
Noch stieß die weltweite Verbreitung des Goethe-Instituts freilich an Grenzen, die die Blockteilung aufgerichtet hatte. Der Osten blieb unerreichbar, da war die DDR vor, die ihrerseits Auslandskulturarbeit mit ihren „Kultur- und Informationszentren“ (KIZ) vorwiegend in sozialistischen Staaten, aber auch in Skandinavien und seit 1983 sogar in Paris betrieb.
Seit dem Beginn der Perestroika konnte das Goethe-Institut zunächst temporär über „Deutsche Kulturwochen“ in Länder des zerbröckelnden Ostblocks ausstrahlen und zur Wendezeit in Städten wie Prag und Budapest Fuß fassen, hochwillkommen damals wie heute.
Dabei kam dem G-I die Reputation zugute, die weitere bundesdeutsche Kulturmittler wie der DAAD oder die Berliner Festspiele mit ihren langjährigen Kontakten zu Intellektuellen und Dissidenten der kleineren Länder Osteuropas erworben hatten. Eine vergleichbare Rolle spielten die Mittlerorganisationen übrigens in Ländern des politischen Westens, die unter autoritären bis faschistischen Regimes gestanden hatten, von Griechenland über Spanien bis Portugal.
Die Blockkonfrontation entfiel nach 1990. Der Optimismus, der die Verbreitung der deutschen Sprache im nunmehr ehemaligen Ostblock anfangs begleitete, wurde allerdings recht bald ernüchtert. Deutsch als Fremdsprache geriet auch in Russland in heftige Konkurrenz zum Englischen.
Dass die bundesdeutsche Politik in der Nachwendezeit viele politische Gelegenheiten verpasste oder regelrecht ausschlug, gehört ins größere Bild; man muss nur die heutige Eiszeit im Verhältnis zu Russland betrachten, um zu ermessen, was hätte besser laufen können.
In dieser Hinsicht spielt das Goethe-Institut naturgemäß nur eine Nebenrolle, eingebettet in den größeren Zusammenhang des Kulturaustauschs, der hoffnungsvoll begonnen hatte und mit Ländern wie Russland inzwischen mehr beschworen denn mit Leben erfüllt wird.
Unabhängigkeit entpuppte sich als Stärke
Die institutionelle Unabhängigkeit des Goethe-Instituts, die der bundesdeutschen Politik früher bisweilen ein Dorn im Auge war, hat sich als dessen große Stärke erwiesen. Dies umso mehr, als Zweiginstitute in immer entferntere – vor allem politisch entferntere – Länder der Erde gepflanzt wurden, solche, in denen freie Rede mit Gefahr verbunden und Kultur kaum anders denn als Regimeverherrlichung vorstellbar ist. Europa mit seinen überwiegend stabilen Demokratien steht nicht mehr im Mittelpunkt der Goethe-Aktivitäten.
Der weltweite Verlust an Rechtssicherheit, Menschenrechten und demokratischer Teilhabe macht nur noch deutlicher, wie richtig und wichtig die Akzentverschiebung der Goethe-Konzeption hin zu – grob vereinfachend – Demokratieexport war und bleibt. „Der Streit um die Freiheit der Selbstdarstellung ist zu einem Kampf um die Darstellung der Freiheit geworden“, hat ein kluger Kollege diese Entwicklung des Goethe-Instituts über die Jahrzehnte einmal beschrieben.
145 Institute, 132 Infozentren
Geblieben sind die Sprachvermittlung in den 145 Auslands- plus 12 Inlandsinstituten, und mit ihr die Bibliotheken und Lesesäle, auch in weiteren 132 „Infozentren“. Sie sind das Rückgrat der Kulturarbeit im Ausland, und sei es, dass sie – vermeintlich „nur“ – Rückzugsorte in schwierigem, oftmals bedrohtem Umfeld bieten. Die Arbeit der „entsandten“ Institutsleiterinnen und -leiter ist mehr und mehr um die der „Ortskräfte“ ergänzt und bereichert worden.
Vermittlung und Austausch glichen einander begrifflich an. Dass heute knapp 280 000 Sprachlernwillige an Goethes Deutschkursen teilnehmen, beschert dem Institut nicht nur Eigeneinnahmen von knapp 138 Millionen Euro – die Zahlen stammen aus dem Vor-Corona-Jahr 2019 –, sondern bedeutet ein unschätzbares Pfand für ein Land, das wie das unsere auf internationale Vernetzung angewiesen ist.
Die Mitarbeiter müssen flexibel sein
Kein Geburtstagsartikel ohne die Erwähnung der zehn Präsidenten, die dem Goethe-Institut vorstanden. Mit der zuletzt in Mainz lehrenden Ethnologin Carola Lentz ist 2020 die zweite Frau nach der ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach in dieses Amt berufen worden.
Klaus von Bismarck war darunter, der in den achtziger Jahren so viel für die Verständigung mit Osteuropa getan hat, der wortgewaltige Kulturpolitiker Hilmar Hoffmann; zuletzt der langjährige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, weltläufig von jeher und stets auf die Unabhängigkeit seiner Institute bedacht, die er in zwölf Jahren Amtszeit wohl allesamt besucht hat.
Auch im Inland wirkt das Institut
In seiner Ägide ist das Goethe-Institut stärker denn je auch ins Inland wirksam geworden, ganz im Sinne des Kulturaustauschs als Zweibahnstraße. Carola Lentz, Jahrgang 1954 und damit drei Jahre jünger als das Goethe-Institut, hat ihrerseits lange im Ausland gearbeitet; ihre eigene Mobilität, sagt sie, „entspricht dem Lebenslauf eines typischen Goethe-Institutsleiters“. Die müssen in der Tat bereit und in der Lage sein, sich im Wechsel weniger Jahre auf unterschiedlichste Länder und Kulturen einzustellen. Die Liste eindrucksvoller Persönlichkeiten auf der Leiter-Position ist lang.
„Neugier auf Fremdes und die Gleichwertigkeit der Kulturen sind Grundsätze, die auch mein Berufsethos wurden“, hat Lehmann zu seinem Abschied vom Präsidentenamt gesagt. Wenn das kein Leitbild ist für das Goethe-Institut ist! Es blickt an diesem Montag zurück auf eine 70-jährige Erfolgsgeschichte als Mittler und oft auch Ermöglicher von Kultur.