Italien macht Lust auf mehr
Ciro Immobile kennt jeden Zentimeter und jeden Grashalm im Stadio Olimpico. Seit fünf Jahren spielt der Stürmer bei Lazio Rom und trifft seitdem mit einer so beeindruckenden Regelmäßigkeit, dass sich Fans von Borussia Dortmund fragen müssen, was in seiner einizgen Saison beim BVB nur schiefgelaufen ist. In der italienischen Nationalmannschaft konnte der 31 Jahre alte Immobile bisher nicht an seine Leistungen im Verein anknüpfen. Seine Tore schoss er meist gegen Liechtenstein oder Armenien, bei seinen zwei großen Turnieren ging er leer aus. Pünktlich zum Eröffnungsspiel der Europameisterschaft im Olympiastadion von Rom änderte sich das.
Nach einem Eigentor des türkischen Innenverteidigers Merih Demiral sorgte Immobile im Stile eines Vollblutstürmers für die Entscheidung. In der Schlussphase erhöhte Lorenzo Insigne auf Vorlage von Immobile sogar noch. So gewann Italien vor 15948 Zuschauern in Rom verdient 3:0 (0:0) gegen eine extrem defensiv eingestellte Türkei. „Wir sind sehr glücklich, dass wir so gut angefangen haben, besonders vor unserem Publikum“, sagte Immobile in der ARD. Die Mannschaft von Roberto Mancini ist nun seit 28 Spielen ungeschlagen, die letzte Niederlage gab es im September 2018.
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Spätestens mit dem klaren Auftaktsieg ist auch bei den Tifosi die Euphorie zurück. Zur Melodie der White Stripes schallte jener Fangesang durchs Stadion, der die Italiener 2006 in Deutschland auf dem Weg zum WM-Titel begleitete. So weit ist der Jahrgang 2021 der Azzurri noch nicht, doch die Leistung wird auch den großen Turnierfavoriten nicht verborgen geblieben sein.
Italien bestimmte das Spiel von der ersten Minute an, lange verteidigte die Türkei aber sehr kompakt und aufmerksam. Nach dem ersten Gegentreffer ergaben sich aber teilweise große Lücken in der Verteidigung – und die nutzte Italien. Die Türkei wurde für ihren passiven Auftritt bestraft und startete zum fünften Mal mit einer Niederlage in eine Europameisterschaft. Die Mannschaft von Senol Günes steht am kommenden Mittwoch gegen Wales bereits unter Druck, Italien empfängt dann die Schweiz.
Nach einer schwungvollen Eröffnungsfeier mit viel Feuerwerk und Musik, bei der Startenor Andrea Bocelli für große Emotionen sorgte, bot das Auftaktduell in der ersten Hälfte nur wenig sportlichen Unterhaltungswert. Die Türkei beschränkte sich fast ausschließlich auf die Defensive. Dabei wurde deutlich, warum der Weltranglisten-29. in zehn Qualifikationsspielen nur drei Gegentore kassierte. Teilweise standen gleich neun Feldspieler im oder am eigenen Strafraum.
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Dennoch gab es für die Azzurri hin und wieder Gelegenheiten. Immobile traf früh nur das Außennetz. Insigne schlenzte das Leder aus verheißungsvoller Position am langen Eck vorbei und Abwehrspieler Giorgio Chiellini zwang den türkischen Torwart Ugurcan Cakir mit einem gefährlichen Kopfball nach einer Standardsituation zu einer ersten Parade.
Insgesamt agierte der Europameister von 1968 jedoch zu verspielt und nicht zwingend genug. Für Aufregung vor der Pause sorgten lediglich gleich drei Handspiele türkischer Spieler im eigenen Strafraum, bei denen die Italiener jeweils einen Elfmeter forderten. Doch der niederländische Schiedsrichter Danny Makkelie bewertete keine Aktion als strafwürdig. So ging es torlos in die Kabinen.
Nach dem Wechsel war endlich Feuer in der Partie. Zunächst musste Italiens Torwart Gianluigi Donnarumma bei einem abgefälschten Schuss von Cengiz Ünder erstmals zupacken, drei Minuten später bejubelten die Italiener die verdiente Führung. Domenico Berardi flankte von der rechten Seite scharf nach innen, wo Demiral den Ball unglücklich ins eigene Netz bugsierte. Dem Innenverteidiger, der in der Serie A bei Juventus Turin spielt, war in dieser Situation aber kaum ein Vorwurf zu machen. Demiral wurde am Bauch getroffen, hinter ihm lauerte bereits Immobile. Das Führungstor sorgte auch bei Trainer Mancini, der vor dem Turnier das Finale als Ziel ausgegeben hat, für Erleichterung.
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Die Squadra Azzurra, die sich mit zehn Siegen aus zehn Spielen für die Endrunde qualifiziert hatte, setzte sofort nach und drängte auf den zweiten Treffer. Manuel Locatelli scheiterte mit einem Flachschuss an Cakir, kurz darauf vergab Berardi in aussichtsreicher Position. Die Türken hatten dem stärker werdenden Druck nichts entgegenzusetzen und kassierten folgerichtig das zweite Gegentor. Einen Schuss von Leonardo Spinazzola konnte Torwart Cakir mit einem starken Reflex zwar noch abwehren, gegen den Nachschuss von Immobile war der türkische Keeper aber machtlos.
In der Vergangenheit hätte die italienische Mannschaft solch eine Führung vermutlich verwaltet, doch am Freitagabend hatte sie vor den eigenen Fans weiter Lust auf Offensivfußball. Insigne rundete den gelungenen Abend nach einem kapitalen Fehlpass der Türken im Spielaufbau auf Vorlage von Immobile mit einem Schlenzer in die lange Ecke ab.(Tsp/dpa)