Nach Moderatorinnen-Absetzung: Ministerpräsident Günther sagt NDR-Veranstaltung ab und geht zu Lesung von Ruhs

Die Journalistin Julia Ruhs wird künftig nur noch beim Bayerischen Rundfunk das Format „Klar“ moderieren, beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) hingegen nicht mehr. Die Entscheidung des NDR rief deutliche Kritik hervor. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sprach von einem „extrem schlechten Signal“. Ähnlich äußerte sich Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU).

Günther ging sogar noch weiter: Wie das Nachrichtenmagazin „Politico“ berichtet, sagte er einen Auftritt am Mittwochabend beim NDR kurzfristig ab und besuchte eine Lesung von Ruhs. Laut „Politico“ erklärte Günther: „Der ÖRR erweist sich mit solchen Entscheidungen einen Bärendienst. Denn Menschen, die den demokratischen Parteien entgleiten, fühlen sich dadurch bestätigt.“

Ruhs stellte ihr neues Buch „Links-grüne Meinungsmacht – Die Spaltung unseres Landes“ bei einer Veranstaltung der Hermann Ehlers Akademie in Kiel vor. Günther sollte als Gast eigentlich bei einer Festveranstaltung anlässlich des NDR-Intendantenwechsels von Joachim Knuth zu Hendrik Lünenborg teilnehmen.

Der Hintergrund: Die vom Bayerischen Rundfunk (BR) und Norddeutschen Rundfunk (NDR) entwickelte Gesprächssendung „Klar“ soll zwar im kommenden Jahr fortgesetzt werden. Beide Sender kündigten am Mittwoch an, weitere Ausgaben zu produzieren. Doch während der BR an Moderatorin Julia Ruhs festhält, sucht der NDR für seine Ausgaben eine neue Moderation.

Offizielle Gründe für die Trennung nannte der NDR nicht. Laut „Welt“ hatten jedoch rund 250 Mitarbeitende in einem offenen Brief Kritik am Format geäußert und sich davon distanziert. Auch der Verein Neue deutsche Medienmacher:innen hatte bereits die Auftaktsendung im April 2025 zum Thema Migration als „Tiefpunkt“ in der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kritisiert. Im Programmausschuss wurde zudem mangelnde Ausgewogenheit und eine „zu starke Emotionalisierung“ kritisiert.

Die drei Pilotfolgen von „Klar“ liefen im April, Juni und Juli in Kooperation von NDR und BR. Die Sendung – die unregelmäßig ausgestrahlt wird – soll Streitfragen aufgreifen, die in der Mitte der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, und verschiedene Perspektiven dazu zeigen.

Der NDR nannte zunächst keine Begründung für seine Entscheidung.

Eine Sprecherin des Senders ging in der Nacht zum Donnerstag lediglich auf die Bedeutung der Sendung ein: „Dem NDR ist Perspektivenvielfalt im Programm wichtig. Deswegen hat der Sender das Format „Klar“ entwickelt und gemeinsam mit dem Bayerischen Rundfunk ins Leben gerufen“, teilte sie der Deutschen Presse-Agentur mit. 

Moderatorin Julia Ruhs ist „fassungslos“

Ruhs reagierte empört auf die Entscheidung des NDR. Auf der Plattform X sprach sie von einem „Armutszeugnis“ und warf den Verantwortlichen „Cancel Culture“ vor. Beim BR wird sie die Sendung weiterhin präsentieren.

„Mein „Klar“-Team und ich persönlich haben unglaublich viel Zuspruch für unser Format bekommen, von Menschen, die eigentlich schon das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die dortige Meinungsvielfalt verloren haben“, sagte Ruhs der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben also das geschafft, wovon die Sender immer träumen – eine verlorene Zielgruppe zurückzugewinnen.“

Weiter erklärte sie: „Das schadet dem Ruf des ÖRR insgesamt und ich glaube, die Verantwortlichen im NDR werden in einiger Zeit merken, was für ein großer Fehler das war.“

Die Sender betonten zugleich, die Entscheidung zur Fortführung basiere auch auf einer repräsentativen Online-Studie. Demnach bewerteten 63 Prozent der Befragten die drei Pilotfolgen mit der Schulnote 1 oder 2. BR-Programmdirektor Thomas Hinrichs sprach von „ermutigenden Werten“ und kündigte an, Lob und Kritik ernst zu nehmen. NDR-Programmdirektor Frank Beckmann unterstrich, Ziel sei es, die „Vielfalt der Perspektiven“ abzubilden.

Die Vorsitzende des BSW, Sahra Wagenknecht, reagierte auf die Absetzung Ruhs beim NDR mit scharfer Kritik. „Maulkorb statt Meinungsvielfalt! ‚Klar‘ ist der nächste Fall von Cancel Culture im ÖRR. Es ist ein Skandal, dass Journalisten, die vom ÖRR-Meinungsmainstream abweichen, aus dem Programm entfernt werden“, sagte die BSW-Gründerin gegenüber „Welt“.

Wagenknecht kritisierte, dass die Sendungen der öffentlich-rechtlichen Medien „immer weniger mit der Lebensrealität der Bürger“ zu tun hätten. Sie bezeichnete „Klar“ als wohltuende Ausnahme. Sie forderte vom ARD-Vorsitzenden, die Entscheidung rückgängig zu machen.

Julia Ruhs arbeitet seit mehreren Jahren beim Bayerischen Rundfunk. Sie schreibt unter anderem Kolumnen für „Focus Online“ zu gesellschaftspolitischen Themen. Vor dem Start von „Klar“ hatte sie betont, in den Medien kämen bestimmte Sichtweisen zu kurz – sie kritisierte in einem Interview mit „t-online“ eine Dominanz „linker Perspektiven“. 2025 erschien Ruhs’ erstes Buch mit dem Titel „Links-grüne Meinungsmacht – die Spaltung unseres Landes“. (ben, mit Agenturen)