Skandal um NS-Raubkunst bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen: „Es ist viel Heuchelei im Spiel“

Reiner Zufall ist es nicht, dass Kulturstaatsministerin Claudia Roth kurz nach der Pressekonferenz zum bayerischen NS-Raubkunst-Skandal die Restitution einer Menzel-Zeichnung aus Bundesbesitz bekanntgibt und das als Erfolg verkauft. Währenddessen ist das Entsetzen groß in München über eine geleakte Liste mit 200 rot gekennzeichneten und damit als Raubkunst markierten Werken im Besitz der Bayerischen Staatgemäldesammlungen. Ganz offensichtlich wurde über Jahre Wissen zurückgehalten, um die Werke nicht an die Nachfahren zurückgeben zu müssen.

In Berlin erklärt Claudia Roth anlässlich der Rückgabe an die Erben des beraubten Breslauer Textilfabrikanten und Sammlers Leo Lewin derweil voller Genugtuung: „Wir schaffen volle Transparenz über die Bestände des Bundes, betreiben Provenienzforschung und kontaktieren die Erben.“ Damit desavouiert sich nicht nur den bayerischen Kunst- und Wissenschaftsminister Michael Blume (CSU), sondern springt auch ihrer Parteigenossin Sanne Kurz bei.

Als Sprecherin der Grünen für Kultur und Medien im Landtag sucht Kurz seit Jahren vergeblich Auskunft zu bekommen. Die Chance scheint gekommen, dass sich etwas ändern könnte. Erstmals werden durch Veröffentlichung der internen Papiere die Hinhaltetaktik, ja Täuschungsmanöver des Kultusministeriums nachweisbar.

Menzels Kreide-Zeichnung „Hans Karl von Winterfeldt, preußischer Generallieutnant“ (Studie zu einem friederizianischen Offizier) von 1851 geht aus Bundesbesitz zurück an die Nachfahren des jüdischen Textilfabrikanten Leo Lewin.

© © Kupferstichkabinett – Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Dietmar Katz

Die von Susanne Kurz gemeinsam mit den Anwälten der Erben der jüdischen Galeristen Brüder Lion (Hannes Hartung), von Paul von Mendelssohn-Bartholdy (Ulf Bischof) und der Flechtheim-Nachfahren (Markus H. Stötzel) kurzfristig anberaumte, digitale Pressekonferenz hat es in sich. Massive Vorwürfe werden erhoben.

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Eigentlich müsste jetzt etwas passieren. Der Generaldirektor der Staatsgemäldesammlungen Bernhard Maaz, der als Zuhörer zugeschaltet ist, verabschiedet sich schon nach wenigen Minuten wieder. Es wird heiß für ihn. Dabei gilt die Kritik nicht den Museen, wie Sanne Kurz betont: Sie würden ihre Arbeit machen und Provenienzforschung betreiben. Die Kritik gilt der Politik. Die letzte Entscheidung über eine Restitution liegt beim Minister, er trägt die Verantwortung.

Ferdinand-Georg Waldmüllers „Junge Bäuerin mit drei Kindern im Fenster“ von 1840 kam über Hitlers Leibfotografen Heinrich Hoffmann in die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.

© Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Neue Pinakothek München

„Ich bin schockiert, wie dreist die Parlamentarier belogen werden“, ist die Grünen-Politikerin noch immer fassungslos und kündigt eine Aufarbeitung des Skandals an. Sie hegt den Verdacht, dass durch die perfide Strategie das Grundstockvermögen des Freistaates geschützt werden soll. „Man spielt sich zum Untersuchungsrichter auf und entscheidet in eigener Sache,“ kritisiert Markus H. Stötzel scharf, obwohl es für zweifelhafte Fälle die Beratende Kommission als Instanz gibt. Dass sie umgangen wird, mag auch daran liegen, dass die Kommission in den letzten Jahren als zu restitutionsfreundlich gilt.

Die Frustration der Anwälte der ausgetricksten Nachfahren ist greifbar. Hans Hartung hält die Reproduktion eines Bildes von Ferdinand Georg Waldmüller von 1840 in die Kamera, das sich seit 1949 im Besitz der Staatsgemäldesammlungen befindet. Seitdem weiß man auch, dass es von Hitlers Leibfotografen Heinrich Hoffmann stammt und damit unter Verdacht steht. Im Lost Art-Verzeichnis aber steht die „Junge Bäuerin mit drei Kindern im Fenster“ erst seit 2013. Die für alle Museen geltende Selbstverpflichtung der Washingtoner Prinzipien, die Erben zu suchen sind, wurde ignoriert.

Bei Friedrich von Amerlings „Mädchen mit Strohhut“ (um 1835) ist dagegen bekannt, dass es von den Brüdern Lion stammt, die durch Berufsverbot verarmt verkaufen mussten. Den Nachfahren wurde signalisiert, man stünde am Anfang der Recherchen; stattdessen lagen längst weitere Informationen vor. Die Erben werden zu Bittstellern degradiert, beschreibt Stötzel die Lage. Dies widerspreche dem Grundgedanken der Washingtoner Prinzipien als ein Versuch der Wiedergutmachung gegenüber den Nachfahren jüdischer Sammler.

Ich bin schockiert, wie dreist die Parlamentarier belogen werden.

Sanne Kurz, Sprecherin der Grünen für Kultur und Medien im Bayerischen Landtag

Ulf Bischof berichtet bitter, dass auch im Fall der „Madame Soler“ nicht alle Dokumente offengelegt wurden, wie sich durch die geleakte Bilderliste nun erweist. Obwohl das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste die Forschung zum Picasso-Werk förderte, blieben die Ergebnisse verschlossen. „Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander“, so der Anwalt und wünscht sich, dass den Proklamationen an Gedenktagen endlich Taten folgen. „Es ist viel Heuchelei im Spiel“, pflichtet ihm Stötzer bei. „Offenbar brauchte es erst eine Indiskretion, einen Whistleblower, um darüber zu sprechen.“

Doch was folgt daraus? Den Museen sind die Hände gebunden, sie dürfen nur recherchieren. Die Bewertung der gewonnenen Erkenntnisse übernimmt eine übergeordnete Stelle, um sie dann dem Minister weiterzugeben, der entscheidet. Die kürzliche Empfehlung des Generaldirektors der Gemäldesammlungen, die Picasso-Büste an die Flechtheim-Erben zurückzugeben, wurde prompt von höherer Warte wieder kassiert.

Der Skandal um die geleakte Liste könnte sich dennoch als Beschleuniger erweisen, dass sich etwas tut. Am 26. Februar dürfte es im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst im Bayerischen Landtag turbulent werden. Ein Antrag der Grünen unter dem Titel „Bayern trägt Verantwortung. Transparenz und Digitalisierung in der Provenienzforschung vorantreiben“ liegt bereits vor. Angesichts der aktuellen Entwicklungen soll ein Dringlichkeitsantrag folgen.