Neues zum Fall Thilo Mischke: Die ARD hält sich bedeckt, die Lobos fordern eine Fehlerkultur
Die ARD ist weiterhin dabei, die Debatte um Thilo Mischke und seine missglückte Ernennung zum „ttt“-Moderator „journalistisch“ aufzuarbeiten, wie es Programmdirektorin Christine Strobl vergangenes Wochenende in ihrer Absage-Mitteilung formuliert hatte; auch Thilo Mischke hat sich noch nicht zu Wort gemeldet.
Dafür wird inzwischen einiges von der Entscheidungsfindung bekannt, die eben nicht so rund und unisono pro Mischke gelaufen sein soll, wie der Sender das zunächst behauptet hatte. Mischke sei einer von zwei Gewinnern eines Castings gewesen und bei einem „Nutzertesting mit über 100 Teilnehmern“ als Sieger hervorgegangen, hatte es geheißen.
Hatte Mischke nur zwei von sechs Stimmen in der ARD?
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet jetzt, dass es ein Casting mit fünf Kandidaten und Kandidatinnen im Juni gegeben habe, das wiederum jemand anderes als Mischke mit eindeutiger Mehrheit für sich entscheiden konnte. Mischke hätte dagegen nur zwei Stimmen der sechs für die Kultur zuständigen Programmleiterinnen und Programmleiter von hr, BR, WDR, MDR, NDR, RBB auf sich vereinen können.
Trotzdem entschieden sich die Programmverantwortlichen „ohne nochmalige Rücksprache“ für Mischke. Womöglich, wie die „FAZ“ mutmaßt, um den schon vor der Moderationswahl verabredeten Podcast von Mischke zusammen mit Jule Lobo mit dem Titel „ttt für die Ohren“ zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen.
Debatte um neuen „ttt“-Moderator „Eine Zusammenarbeit mit Thilo Mischke schließen wir für uns aus“
Und überhaupt, so heißt es in der Mitteilung der ARD: „Zur Besetzung von Thilo Mischke haben wir innerhalb der beteiligten Redaktionen viele intensive und teils auch kontroverse Gespräche geführt. Eine offene Diskussionskultur ist Teil unserer Redaktionskultur und Meinungsvielfalt Teil unseres journalistischen Selbstverständnisses.“ Dies, man ahnt es, ist die Entgegnung auf Vorwürfe, im Fall Mischke hätten sich nicht besonders informierte Programmchefs einfach über ihre skeptischen Redaktionen hinweggesetzt.
Derweil hat sich auch Jule Lobo noch einmal länger zu der Angelegenheit geäußert, nachdem es von ihr bislang nur ein kurzes Statement auf Instagram gegeben hatte, in dem sie sagte, dass „es nicht nur über die problematischen Äußerungen“ gehen solle, sondern man „auch über Fehlerkultur und den Umgang mit früheren Fehlern sprechen“ müsse.
In dem Podcast „Feel the News“, den sie zusammen mit ihrem Mann Sascha Lobo macht, spricht sie vor allem darüber: von der „Fehlerkultur“ und wie man mit der kompromittierenden Vergangenheit einzelner Personen am besten umgeht. Jule Lobo gesteht, von Mischkes Buch „In 80 Frauen um die Welt“ nichts gewusst zu haben. Aber ob sie im Wissen darum einem gemeinsamen Podcast zugestimmt hätte? „Hätte ich es gewusst, hätte ich ein tieferes Gespräch mit ihm geführt und ihn gefragt: Wie gehst du jetzt damit um?“
Balance-Akt von Jule und Sascha Lobo
Es ist ein Balanceakt, versehen mit vielen Konjunktiven und ein paar Prisen Medienkritik, den die Lobos in ihrem Podcast vorführen. Nämlich zum einen, sich von den ehemals oder weiterhin potentiell misogynen Zügen Mischkes zu distanzieren. Zum anderen, ihm zur Seite zu stehen. Beide sind sich einig, dass der Titel seines Buches sexistisch sei, dass dieses „super schwierige Aussagen“ mache. Einig sind sie sich auch darüber, was für eine tolle Arbeit die Kolleginnen vom „Feminist Shelf Control“ „in großen Teilen“ geleistet haben. Den Podcast „möchte ich ausdrücklich empfehlen“ (Jule Lobo), er sei „überraschend differenziert“ (Sascha Lobo). Und: Mischke habe frauenfeindliche, ableistische, rassistische Sachen gesagt, das werde dort gut herausgearbeitet.
Mischke überzeugte aber vor allem im Punkt ,Authentizität’, was unter anderem Ausschlag für die Besetzung gegeben hat.
Die ARD zum Casting-Verfahren
Aber müsse man so ein Buch jetzt gleich „judgen“ in „unserer sexpositiven Gegenwart“?, fragt Jule Lobo. Mischke sei absolut kein Vergewaltiger. Und was soll in dem „Feminist Shelf Control“-Podcast der Verweis zu dem Fall Pelicot? Irgendwann wendet Sascha Lobo ein, zu wenig sei berücksichtigt worden, dass das inkriminierte Buch ein Roman ist und es in Artikeln über die Causa immer als „Buch“ bezeichnet wurde (Kleiner Einschub: Was insofern nicht stimmt, als dass die Verlage Riva und Goldmann auf den Gattungsbegriff Roman auf dem Cover verzichtet haben und lieber den unbedingten Wahrheitsgehalt des Ganzen herausstrichen: „Eine außergewöhnliche Reisereportage, unglaublich, aber wahr“. Zumal ja auch das Verfassen eines sexistischen, misogynen Romans so seine Probleme aufwirft.)